, 5. Februar 2023
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Musikalische Entdeckungsreise durch den Norden

Nach zwei Jahren Pause kehrt das Nordklang Festival nach St.Gallen zurück: Am 10. und 11. Februar spielen Acts aus dem hohen Norden auf sechs Bühnen. Das Festival ist eine Entdeckungsreise für das Publikum genauso wie für die auftretenden Künstler:innen.

Parallel zum Festival findet die Ausstellung Nordsicht #3 statt. Gezeigt werden Videoarbeiten von drei Künstlerinnen, die sich mit ihrer Identität und Herkunft befassen. Oben: das Projekt Haïti Chérie (2011) von Sasha Huber.

Im Februar 2020 hatte das Organisationsteam des Festivals gerade noch Glück. Bereits eine Woche später wäre der Anlass in seiner geplanten Form nicht mehr möglich gewesen, da die Besucherzahlen auf maximal 1000 Leute beschränkt wurden, kurz darauf folgte der erste Corona-Lockdown. Die Festivals 2021 und 2022 wurden zwar geplant, konnten dann aber doch nicht stattfinden. Die Freude bei den Verantwortlichen, endlich wieder durchzustarten, ist dafür jetzt umso grösser und unübersehbar.

Zurück ist das Festival auch mit seinem typischen skandinavischen Line Up aus hierzulande grösstenteils unbekannten Acts. Mal ehrlich, wer kennt ernsthaft die Namen Anna Gréta, Axel Flóvent, Makthaverskan, Päivi Hirvonen, Vivii oder Ravi Kuma?

Während andere Festivals plakativ auf grosse und bekannte Namen setzen, punktet Nordklang seit Jahren mit unbekannteren, aber qualitativ nicht weniger hochstehenden Künstler:innen aus dem europäischen Norden, die es für das Publikum im südlichen St.Gallen zu entdecken gibt.

Bewährte «Nordklang Sessions» auch 2023

Das Nordklang Festival ist nicht nur eine Terra incognita für das Publikum, sondern teilweise auch für die auftretenden Künstler:innen selbst. Auch sie sind dazu eingeladen, sich auf Neues und unbekanntes Terrain einzulassen, beispielsweise mit dem kollaborativen und länderübergreifenden Projekt «Nordklang Sessions», das dieses Jahr bereits zum vierten Mal Bestandteil des Festivals ist.

Nordklang: 10. und 11. Februar, diverse Orte in St.Gallen

nordklang.ch

Für die «Nordklang Sessions» treffen sechs Musiker:innen aus dem skandinavischen Raum auf vier Musiker:innen aus der Schweiz. Während einer Woche leben und arbeiten sie gemeinsam in einem Haus in Teufen mit freier Sicht zum Säntis. Das Ziel ist es, während fünf Tagen gemeinsam neue Songs zu komponieren und sie am Freitag zur Festivaleröffnung in wechselnden Formationen im Pfalzkeller dem Publikum zu präsentieren.

Inhaltliche Vorgaben gibt das Organisationsteam den Künstler:innen aus Dänemark, Island, Schweden, Norwegen und der Schweiz keine. Naja, fast keine. Sie sollten immerhin möglichst auf Englisch verzichten und in ihrer jeweiligen Muttersprache singen oder sich auch in einer Sprache eines anderen Landes versuchen. «Wer weiss, vielleicht wagt sich ein norwegischer Künstler ans Schweizerdeutsche und umgekehrt», freut sich Larissa Bissegger, Präsidentin des Vereins Nordklang.

«Humoristisch, melancholisch, traditionell bis hypermodern»

In Teufen werden die Künstler:innen musikalisch vom dänischen Musiker Roar Amundsen begleitet, der bereits in früheren Jahren die «Nordklang Sessions» des Festivals koordiniert hat.

Die Festivalmacher:innen beschreiben ihr diesjähriges Programm selber als «humoristisch, melancholisch, traditionell bis hypermodern». Tatsächlich ist die Vielfalt an Stilen gross. Von Elektronik, Pop, Jazz, Rock und Hip Hop sind verschiedene Genres vertreten von ganz unterschiedlichen Musikschaffenden.

Am zweiten Festivaltag – am Samstag – stehen denn auch nicht weniger als 16 Bands auf den Bühnen von Grabenhalle, Palace, Øya, Kellerbühne sowie Pfalz- und Hofkeller. In der Grabenhalle spielt beispielsweise der Däne Mads Kristiansen mit seinem neuen Projekt Goss. «Kristiansen spielte mit einer anderen Band bereits vor acht Jahren auf unserem Festival. Damals sass er jemandem aus dem Publikum auf der Schulter und hat von dort aus gesungen», erinnert sich der Programmverantwortliche Sandro Büchler.

Aus Schweden stammt das Quintett Makthaverskan, das eine Mischung aus «glückseligem Dream-Pop, dramatischer Teenage-Angst und dunklem Post-Punk» spielt, wie dem Programmheft zu entnehmen ist. Die Band befindet sich derzeit im Studio für Aufnahmen eines neuen Albums. Über einen Abstecher für einen Gig an einem Festival in Den Haag am Freitagabend reist die Band am Samstagmorgen von den Niederlanden direkt nach St.Gallen, um am Abend auf der Bühne im Palace zu spielen, bevor es danach wieder zurück ins Studio geht.

Frauen in der Hauptrolle

Eine witzige Geschichte verbirgt sich hinter der Solokünstlerin Dorte Hartmann, die unter dem Namen A Mess in der Grabenhalle auftritt. Die Dänin hat sieben Jahre in St.Gallen gelebt. «Dorte ist damals wegen der Liebe nach St.Gallen gezogen», weiss Sandro Büchler. Die Liebe ist mittlerweile zwar weg, aber ihr Traum, einmal in der Grabenhalle auf der Bühne zu stehen, besteht noch immer. «Als sie in St.Gallen lebte, wusste entweder niemand, dass sie Musik macht, oder sie traute sich nicht zu fragen, wie auch immer, jetzt geht ihr Traum in Erfüllung», freut sich Büchler für die Künstlerin.

A Mess: am Nordklang-Samstag in der Grabenhalle. (Bild: Stefan Kruse)

Neben Dorte Hartmann stehen weitere Frauen auf den sechs Festival-Bühnen. In der Kellerbühne spielt die isländische Jazzpianistin Anna Gréta ein kontemplatives Konzert, im Palace stellt die von den Färöer-Inseln stammende Jenný Kragesteen ihr elektronisches Debut-Album vor und im Pfalzkeller gibt die Finnin Päivi Hirvonen eine Performance mit Geige und Gesang.

In acht der insgesamt 16 auftretenden Bands spielen Frauen die Hauptrolle, entweder als Front-Sängerinnen oder als Solokünstlerinnen. «Der Frauenanteil wäre sogar noch höher gewesen, aber eine Band mit einer Sängerin konnte terminlich nicht zu uns kommen», verrät der Programmmacher. Während der Vorbereitungen sei im Team zwar bewusst über den Frauenanteil diskutiert worden, letztendlich hätte sich die Zusammensetzung aber automatisch ergeben.

Steigende Reisekosten und das Flugdilemma

In der diesjährigen Festivalausgabe gibt es auffallend viele Künstler:innen und Bands aus Schweden, dafür ist aber niemand aus Grönland dabei. Grund dafür sind aber nicht fehlende grönländische Musikgrössen, sondern die enormen Reisekosten. Leute aus Grönland hierher zu bringen, sei sehr kostspielig. «In der gesamten Festival-Geschichte hatten wir deshalb bisher nur drei Künstler aus Grönland im Programm», erklärt Larissa Bissegger.

Nordsicht #3

Parallel zum Nordklang Festival findet bereits zum dritten Mal die Ausstellung Nordsicht statt, welche die beiden Länder Finnland und Schweiz im Fokus hat. Vom 9. bis zum 12. Februar werden, kuratiert von Gabriela Falkner, Katharina Stoll-Cavelti und Birgit Widmer, Videoarbeiten von drei Künstlerinnen gezeigt.

Aino Dudle lässt uns in ihrer Arbeit abtauchen in ihre beiden Welten; ihre Heimat Herisau und ihren jetzigen Wohnort Helsinki. Die gebürtige Finnin Marja Helander befasst sich mit ihrer Heimat und mit der samischen Kultur im ehemaligen Lappland. In ihrer melancholisch angehauchten Videoarbeit, die der Frage nachgeht, wem das samische Land gehört, sind zwei samische Balletttänzerinnen zu sehen. Die in Helsinki lebende schweizerisch-haitianische Künstlerin Sasha Huber schliesslich beschäftigt sich mit Fragen des Kolonialismus und Postkolonialismus. In ihrem Werk ist eine Performance auf einem der unendlichen Eismeere Finnlands zu sehen.

Zwei weitere Künstlerinnen mit finnisch-schweizerischen Wurzeln ergänzen das Programm. Sirkka Ammann zeigt die kulturellen Differenzen der beiden Länder und die Sängerin Elina Lampi aus Speicher interpretiert am letzten Ausstellungstag bekannte finnische Lieder.

Nordsicht #3: 9. bis 12. Februar, Projektraum «AUTO», St.Gallen

nextex.ch

Die Künstler:innen vom Norden nach St.Gallen zu bringen, ist für das Organisationsteam stets von Neuem eine Herausforderung. Besonders für Isländer:innen und Leute, die in abgelegenen nördlichen Regionen Norwegens leben, sei die Reise schwierig, teuer und auch zeitintensiv, stellen Bissegger und Büchler fest. «Wer beispielsweise in Tromsø lebt, braucht schon zwei Tage bis zum internationalen Flughafen in Oslo», weiss Büchler.

Wobei das mit dem Fliegen so eine Sache ist. «Am liebsten wäre uns, alle würden mit dem Zug anreisen», so Bissegger. Gerade bei isländischen und norwegischen Künstler:innen ist das Flugzeug aber nach wie vor beliebt, weil ihre Länder die Flugkosten übernehmen, damit sie durch die geografische Abgeschiedenheit nicht in Nachteil geraten gegenüber Kunstschaffenden aus anderen Ländern.

Die Nordklang-Verantwortlichen versuchen aber dennoch, die Bands zur Zugreise zu motivieren. Um den Anreiz zu erhöhen, vergütet das Festival jenen, die mit dem Zug nach St.Gallen fahren, die Reisespesen sogar doppelt. Fünf Bands haben dieses Angebot angenommen. Acht kommen per Flugzeug und drei fahren mit dem Auto Richtung Bodensee. «Das Ziel ist es, dass künftig nur noch ein Drittel fliegt», so Büchler.

Hinter der Idee steht aber nicht ein Nachhaltigkeitskonzept, sondern eher eine generelle Haltung und ein Verantwortungsbewusstsein. So werden alle Musiker:innen vegetarisch bekocht, Abfälle möglichst vermieden und Plakate sowie Flyer wurden nicht billig im Ausland, sondern in der Region gedruckt.

Die Vorfreude auf das Festival ist riesig, ob auch das Publikum nach der Pandemie wieder zurückkommt wie in den Jahren davor, wird sich zeigen. Das Programm hat definitiv Potenzial, die Konzertsäle wie in den Vorjahren wieder zu füllen.

Obwohl es keinen eigentlichen Headliner am Festival gibt und alle auftretenden Acts auf den Plakaten in gleicher Schriftgrösse angeschrieben werden, freut sich die Festivalleiterin Larissa Bissegger, ohne ein Geheimnis daraus zu machen, besonders auf die dänische Rockband Go Go Berlin. «Ich bin fast durchgedreht, als Sandro mir sagte, Go Go Berlin spielen an unserem Festival.» Der Titel des neuesten Albums der Band heisst denn auch – ob zufällig oder nicht, aber zumindest passend zur Vorfreude und den grossen Erwartungen – Expectations.

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