Und wie sicher fühlen Sie sich?

Die Stadt St.Gallen will wissen, was die Bevölkerung von der Videoüberwachung im öffentlichen Raum hält und macht dafür eine Online-Umfrage. Fragt sich, ob dieses Instrument auch das passende ist.
Von  Corinne Riedener
Überwachungskameras oder im englischen Sprachraum: CCTV.

Die Fachstelle Statistik des Kantons St.Gallen führt eine Online-Umfrage zum Thema Videoüberwachung durch, teilte die städtische Direktion für Sicherheit und Soziales am Montag mit. Auftraggeberin ist die Stadt St.Gallen: Sie will «die Wirksamkeit der polizeilichen Videoüberwachung» überprüfen, mit Einbezug der «Meinung und Erfahrungen der Bevölkerung». Anlass dazu gab ein parlamentarischer Vorstoss.

Gegen eine solche Umfrage spricht an sich nichts. Die Wirksamkeit von Videoüberwachung im öffentlichen Raum war schon umstritten, bevor sie überhaupt eingeführt wurde – in St.Gallen war das nach der Abstimmung 2008 der Fall. Die Befürworter argumentierten damals, die 50 Kameras (Kostenpunkt 2.5 Millionen Franken) seien nicht nur in der Aufklärung von Delikten unerlässlich, sie hätten auch präventive Wirkung.

Luzern hat die Übung abgebrochen

Dieser zweite Aspekt ist bis heute fraglich. Die Stadt Luzern zum Beispiel – ebenfalls eine Videoüberwachungspionierin – hat ihre Kameras mittlerweile wieder entfernt. Weil man festgestellt habe, dass sie «keine abschreckende Wirkung zeigten», erklärte Patrick Bieri von der Luzerner Sicherheitsdirektion letzten September. Der St.Galler Sicherheitsdirektor Nino Cozzio sagte damals, die Kameras hätten sich bewährt und dienten der Prävention. Man habe die Videos «mehrfach» zur Beweisführung bei schweren Straftaten verwenden können. 2013 und 2014 waren es zwischen 20 und 30 Fälle (mehr dazu in der 250. Ausgabe von Saiten).

Die jetzige Umfrage geht unter anderem auf einen Vorstoss von zwei überzeugten Gegnern der Videoüberwachung zurück: Monika Simmler und Etrit Hasler (beide SP). Im Postulat, das vor zwei Jahren überwiesen wurde, sprachen sie von einem «heiklen Eingriff» in die «Freiheit von PassantInnen», den es zu rechtfertigen gelte. Man darf davon ausgehen, dass sie darauf abzielten, dass er sich eben nicht rechtfertigen lasse.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Überwachungs-Umfrage weniger als wissenschaftliche Grundlage und eher als Verzweiflungstat. Sowohl St.Gallerinnen und St.Galler als auch «regelmässige oder gelegentliche Besucherinnen und Besucher der Stadt» seien eingeladen, sich zu beteiligen, heisst es auf der Startseite der Umfrage, die noch bis am 10. September läuft. «Alle gegebenen Antworten sind anonym. Die Auswertungen lassen keine Rückschlüsse auf einzelne Personen zu. Die Fachstelle für Statistik stellt den Auswertungsbericht Interessierten gerne zu.» Dafür müsste man dann allerdings die Mailadresse angeben.

Wollen Sie einfach überwacht werden oder wollen Sie auch wissen wo genau?

Gefragt wird unter anderem, ob man weiss, wo sich die Kameras und Notrufsäulen in der Stadt befinden und wie oft man tagsüber oder nachts im Kantipark, auf dem Klosterhof, in der Brühltorpassage oder am Bohl war. Oder auch solche Dinge:

onlineumfrage

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Screenshots: surveymonkey.com

Klar, Onlineumfragen sind ein tolles Tool, besonders für Studis und Marketingfachleute. Für eine objektive Evaluation, ob die Videoüberwachung die «erhoffte Abschreckungswirkung», die «Verminderung der Kriminalität» oder eine «in Bezug auf die polizeilich registrierten Vorfälle [messbare] Verlagerung an andere Orte» bringt, ist sie jedoch ungeeignet.

Dafür braucht die Stadt hoffentlich auch keine Umfrage mehr – diese Daten müsste sie aus ihrer Statistik ablesen können. Oder besagt diese am Ende sogar, dass St.Gallen eigentlich sicher ist? Und es schon vor der Überwachung war? Vielleicht geht es in der Umfrage deshalb vor allem um diesen eher gspürigen Aspekt der vielen sicherheitspolitischen Diskussionen: um das subjektive Sicherheitsempfinden.

Wer überwacht die Umfrage zur Überwachung?

Hinzu kommt: Kann die Stadt zum Beispiel überprüfen, ob mit dem Online-Tool wirklich alle Bevölkerungsgruppen der Stadt erreicht werden, wer das Formular ausfüllt und viel wichtiger: Wie oft jemand teilnimmt? Fakt ist doch, dass in der Schweiz die meisten mittlerweile mehrere Endgeräte haben; ein Smartphone, ein Tablet, einen Computer zuhause und/oder noch einen im Geschäft – und somit auch mehrere IP-Adressen. So wäre es theoretisch möglich, gewisse Kreise gezielt zu mobilisieren, um das Resultat der Umfrage zu beeinflussen. In welchem Sinn auch immer.

In diesem Zusammenhang sollte man sich vielleicht auch die Frage stellen, ob der Zeitpunkt der Umfrage klug gewählt ist. Nach diesem Sommer, wo alles nach «mehr Sicherheit und Überwachung» schreit, würde es nicht verwundern, wenn das subjektive Sicherheitsbedürfnis massiv überbewertet würde. Was ein solches Resultat für politische Schlussfolgerungen mit sich bringen würde, wollen wir uns nicht ausmalen.