The Notwist: Der Ausbruch als Plan
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Das erste Sommerkonzert im St.Galler Palace: Timo Posselt hat bei The Notwist mitgeschwitzt.
Weilheim in Oberbayern? Höchstens Kenner kannten den Ort wegen seiner Stadtpfarrkirche mit ihren sechs massiven Glocken. Doch im Jahr 2002 änderte sich das schlagartig: Die Brüder Markus und Micha Acher hatten sich mit dem Tontüftler Martin Gretschmann zusammengetan und während vier Jahren wie Besessene an ihrem Album «Neon Golden» gearbeitet. Das lohnte sich, «Neon Golden» wurde ein Meisterwerk, die verschlafene Kleinstadt wurde bis in die USA bekannt und gar mit dem Seattle der 90er-Jahre verglichen.
In St.Gallen, viermal grösser als Weilheim und nicht ganz so verschlafen, fühlt sich die Band sichtlich wohl, als sie am Mittwochabend die Bühne im Palace betritt. Sie legt los mit Songs, die wie gefälliger Surf-Pop beginnen und sich, angetrieben von den Beats des Schlagzeugers, der wie vom Affen gebissen spielt, nach und nach zum elektronischen Monster auswachsen. Ein Wunder, dass dabei der Hello-Kitty-Luftballon an der roten Palace-Decke ganz bleibt. Die erste Ansage wird vom euphorischen Publikum einfach überklatscht. Bei «Pick Up The Phone» aus dem Album «Neon Golden» enden die Harmonien mit Laut-Fetzen und Bläser-Schnipseln als disharmonisches Electronica-Experiment. Und der Eindruck verstärkt sich, dass der Ablauf – von Song zu Ausbruch – etwas gar kalkuliert ist.
«On Planet Off» ab dem grossartigen Folgealbum «The Devil, you + me» verursacht einiges Mitnicken im Publikum und kommt mit feindseligem Trip-Hop-Beat daher. Die Bedrohung löst sich aber bald auf, denn Markus Acher setzt zur pazifistischen Botschaft an: «I would never beat you up, for being that off today». Unter den über 300 Leuten im ausverkauften Palace scheinen sich einige schon für die grosse Sause im Sittertobel vorzubereiten und versuchen sich im Mitklatschen – glücklicherweise erfolglos.
Nach zwei Zugaben ist es kochend-heiss im ehemaligen Kino, und The Notwist schicken das Publikum in die warme Nacht – manche mit dem Nachgeschmack: «zu verkopft». Bei The Notwist scheint nichts dem Zufall überlassen zu werden. Die Songs wirken stets wie grosse, durchdachte Konstruktionen. Ob das nun abgeklärtes Kalkül oder perfektionierte Improvisation war – entweder es haut dich um oder nicht.