Stadt stoppt Ausstellungsplakat

Eine Aktfotografie der Künstlerin und Revolutionärin Tina Modotti hat die Stadt aufgeschreckt: Sie hat das Plakat zur Ausstellung im Historischen und Völkerkundemusem St.Gallen als sexistisch abgelehnt. Das Museum ist irritiert.
Von  Peter Surber

«Tina Modotti. Emigrantin, Fotografin, Revolutionärin»: So wird in den nächsten Tagen im Weltformat für die am 30. August beginnende Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen geworben. Aber nicht mit dem vorgesehenen Plakat, sondern mit einer abgeschwächten Version. Kuratorin Isabella Studer-Geisser sitzt der Schreck über die Ablehnung noch in den Gliedern, als wir kurz danach telefonieren.

Zwei legendäre Aufnahmen der Fotografin sind darauf zu sehen. Oben das Stillleben «Gitarre, Sichel und Patronengurt» von 1927 – eine Ikone der mexikanischen Revolution. Und unten eine frontale Aktaufnahme der liegenden Künstlerin aus der Serie «Tina sul’azotea» von 1927, fotografiert von Edward Weston, einem der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts und ihrem Geliebten.

Auf Flyern und als Einladungskarte ist das Bild bereits verschickt, ebenso als Beilage im Septemberheft von Saiten. Hier ist es:

modotti_Plakat_Sujet-1In Plakatgrösse jedoch wurde das untere Bild offensichtlich zum Stein des Anstosses – es muss ersetzt werden durch einen diskreteren Rückenakt:

tina-modotti-akt 2

Warum, das erfuhr erstmal auch die Kuratorin selber nicht.

Auf unsere Nachfrage erklärt die Pressestelle der Allgemeinen Plakatgesellschaft APG, die für die Plakatierung verantwortlich ist: «Die APG|SGA prüft alle gebuchten und zum Aushang eingehenden Plakatsujets hinsichtlich Gesetzeskonformität und Lauterkeit. Kritische Sujets legen wir der Lauterkeitskommission und unseren Vertragspartnern in Städten und Gemeinden vor. Die APG|SGA darf von Gesetzes wegen keine Zensurmassnahmen vornehmen. In diesem Fall
 haben unsere internen Instanzen erkannt, dass es sich um ein kritisches Sujet handelt und haben das Sujet dem zuständigen Amt der Stadt St.Gallen vorgelegt. Von dort erhielten wir einen negativen Aushangbescheid.»

Gegen «Sexualisierung»

Zuständig bei der Stadt ist Heinz Indermaur, Departementssekretär Soziales und Sicherheit der Stadt St.Gallen. Er erklärt: «Wir hatten den Eindruck, dass es für die Sache der Ausstellung nicht zentral ist, eine nackte Frau auf diese Weise im öffentlichen Raum zu zeigen. Auch vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussionen um die Love-Life-Plakatkampagne sind wir zum Schluss gekommen, dass man nicht ohne Not zur weiteren Sexualisierung des öffentlichen Raums beitragen soll.»

Andere Motive, wie der jetzt auf dem Plakat zu sehende Rückenakt, hätten für die Ausstellung und das Werk Modottis eine vergleichbare Aussagekraft wie das zurückgewiesene Bild, meint Indermaur. Den Entscheid traf eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe, die sich mit Themen rund um den öffentlichen Raum beschäftigt – auf Anfrage der APG, die auf die Behörden, siehe oben, zukommt, wenn ein Sujet potentiell anstössig ist, ob religiös, sexuell oder politisch. Eine «Zensurbehörde» sei das keineswegs, und solche Fälle kämen äusserst selten vor – das Anti-Minarett-Plakat war ein Beispiel. Er habe sich gegen die Bewilligung des fraglichen Sujets ausgesprochen und stehe zum Entscheid; mit Kuratorin Studer habe er es allerdings versäumt, Rücksprache zu halten, räumt Indermaur ein und will das baldmöglichst nachholen.

Tatsächlich hätte er dabei erfahren, dass der Entscheid für das Bild wohldurchdacht und aus der Biografie Modottis fundiert war.

Ein Bild, das Geschichte machte

Tina Modotti (1896-1942) im Friaul geboren, war 17-jährig aus ihrer Heimat in die USA emigriert, hatte erste Erfolge als Fotografin und ging mit Edward Weston 1923 nach Mexiko. Sie schloss sich dort der kommunistischen Partei an, fotografierte die Revolutionäre, das alltägliche Leben, die erschossenen Arbeiter. 1930 wurde sie ausgewiesen, lebte in Moskau, engagierte sich im Spanischen Bürgerkrieg und starb 1942, zurück in Mexiko, an einem Herzanfall.

Meexico 3Ein schillerndes Leben, ein grosses Werk: Grund genug für eine monografische Schau, die in Zusammenarbeit mit Pro Friuli St.Gallen entsteht und erstmals in diesem Umfang in der Schweiz Modottis Schaffen zeigt. (Einzelne Bilder waren unlängst schon in der Ausstellung zum Schweizer Sozialarchiv im Kulturraum am Klosterplatz zu sehen).

Die Auswahl der Plakat-Fotos habe sie sich dabei sehr genau überlegt, sagt Kuratorin Isabella Studer. Sie widerspiegle Modottis Leben in seiner ganzen Tragik und Grösse, verbinde Fotografie und Revolution in Bildern, die längst als «Inkunabeln der Fotogeschichte» gelten.

Dabei habe das Aktbild in Modottis Leben schon einmal eine fatale Rolle gespielt – notabene Jahre nachdem es in diversen Ausstellungen zu sehen war und zu Westons und Modottis Berühmtheit beigetragen hatte: Es wurde vom konterrevolutionären Regime in Mexiko publizistisch ausgeschlachtet, um die unbequeme Künstlerin in Verruf zu bringen – was schliesslich zu ihrer Ausweisung 1930 führte. Dies habe Modotti damals den Boden unter den Füssen weggezogen.

90 Jahre später: Immer noch anstössig?

Jetzt, genau neunzig Jahre später, sagt die Kuratorin: «Das darf nicht nochmal passieren, hier in dieser Stadt, die ist doch nicht reaktionär.» Entsprechend ausführlich habe sie die Bilderfrage überlegt und intern diskutiert, nicht zuletzt wegen Bedenken, dass das Plakat das Bild der Frau als Objekt von Männerfantasien zementieren könnte. «Aber das trifft auf Modotti nicht zu, sie hat sich von niemandem vorschreiben lassen, wie sie zu leben habe.»

tina-modotti_mus2Provokation oder billige Aufmerksamkeit für die Ausstellung: Darum sei es ihr in keinem Moment gegangen, beteuert Isabella Studer-Geisser. Auch jetzt ist ihr wichtigstes Anliegen, «dass wir der Sache, dem Andenken von Tina Modotti als Frau, Fotografin und Revolutionärin, die ein Leben voller Schmerz und Leidenschaft hatte, in keiner Art und Weise schaden möchten». Die Diskussion über die Ablehnung wünscht sie sich daher so, «dass nicht auf dem Rücken von Tina Modotti etwas ausgehandelt wird, was nichts mit ihr zu tun hat».

Worüber man tatsächlich diskutieren muss: Was gilt – damals, heute – als anstössig, wer soll darüber entscheiden können, wo verläuft angesichts der Omnipräsenz sexualisierter Bilder die Grenze zwischen ernsthaften Bedenken und Heuchelei? Und wie weit gelten für Kunstwerke, in diesem Fall ein Werk der Foto- (und der Revolutions-) Geschichte, andere Massstäbe als für kommerzielle Werbung?