Soziale Schweiz?

Das Grundeinkommen stellt Grundfragen – und hat es entsprechend schwer, wie alle neuen Ideen. Seit 12 Jahren bietet das Sozial- und Umweltforum Ostschweiz die Möglichkeit, gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Alternativen zu diskutieren. von Christof Schilling
Von  Gastbeitrag
Kundgebung 2014 (Bild: sufo.ch)

Jedes Jahr nach dem SUFO, wenn der Organisationsdruck weg ist und wir einen Blick zurückwerfen, kommt unweigerlich dieselbe Frage auf: Was bewirken wir und können wir überhaupt etwas verändern?

Wenn wir diese Fragen ehrlich beantworten, fällt das Ergebnis ziemlich ernüchternd aus, denn leider können wir kaum abschätzen, welchen Einfluss das Forum hat. Sicher, es ist ein schöner Anlass mit lohnenden und spannenden Diskussionen. Aber was aus all dem wird, darauf haben wir wenig Einfluss. Was uns dennoch zum Weitermachen antreibt, ist die schiere Fassungslosigkeit über den Neoliberalismus und dessen fatale Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Probleme benennen

Die liberalen Ziele, das Streben nach einem schlanken Staat, in dem Sozialleistungen auf ein Minimum reduziert sind im Glauben an den uneingeschränkten Wettbewerb und einen selbstregulierenden Markt, erweisen sich mehr und mehr als falsch. Trotzdem kommt es immer wieder zu Steuersenkungen für Unternehmen und wohlhabende Persönlichkeiten, was bei vielen Gemeinden und Kantonen zu finanziellen Engpässen führt. Die Privatisierung von Bildungs- und Gesundheitswesen, Kultur und anderen Gemeingütern forciert den Wettbewerb und setzt die Gesellschaft massiv unter Leistungsdruck, während sozial Schwache, Eingewanderte, Arbeitslose und andere Minderheiten systematisch im Stich gelassen werden.

Die herrschende Philosophie ist mehr als nur noch fragwürdig, doch trotzdem werden uns immer noch Reformen und Auswege im Sinn des Neoliberalismus präsentiert. «There is no alternative!», versuchen uns die Wirtschaftseliten einzutrichtern. Brav nach Margaret Thatcher. Und wissen dennoch ganz genau: Die meisten Probleme werden von Grosskonzernen verursacht – deren Wirtschaftskraft mittlerweile locker jene eines Staates übersteigt. Ebenfalls Common Sense: Die Führung dieser Konzerne ist eng mit der Politik verwoben und nimmt so direkt Einfluss auf unseren Alltag.

Alternativen aufzeigen

Für einen umfassenden Wandel braucht es nicht nur neue Regeln und Steuern. Hier und da ein paar Massnahmen, um den Markt und die Finanzen zu regulieren, rigorose Gesetze gegen den schonungslosen Raubbau und schöne Versprechen an eine offene Welt reichen nicht aus, um ein globales Umdenken und somit einen nachhaltigen Strukturwandel herbeizuführen.

Doch es gibt Alternativen. Und diese müssen weitergedacht werden, wie auch die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen zeigt. Diese Initiative geht über die agendagetriebene Realpolitik hinaus und stellt wieder grundsätzliche Fragen: Was heisst Arbeit? Was ist sie wert? Kann man das mit Geld aufwiegen? Was heisst überhaupt Lohn? Und was würde man mit dem Leben tun, wenn für das Einkommen gesorgt wäre?

Es ist klar, dass die bestehenden Strukturen nicht widerstandslos gesprengt und alternative Ideen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können. Umso erfreulicher ist es, dass wir demnächst gleich über zwei buchstäblich weltbewegende Initiativen abstimmen werden: Grundeinkommen und – in wenigen Jahren – Vollgeld.

Beide Vorlagen lösen wertvolle Debatten aus: über die Zukunft der Wirtschaft, der Banken, der Sozialwerke, den Stellenwert von Arbeit und die Bedeutung von Geld. Die Auseinandersetzung mit alternativen Gesellschaftsformen und Wirtschaftssystemen muss zuerst in den Köpfen stattfinden. Erst wenn sich auch die breite Öffentlichkeit mit diesen Fragen beschäftigt, ist der Weg vielleicht bald wieder frei. Es wird ein langer.

Doch Hoffnung besteht. Wenn wir den Blick nach aussen richten, gibt es immer wieder Gruppierungen abseits der regulären Politik, die es schaffen, Leute zu mobilisieren. Aktuell zum Beispiel in verschiedenen Städten Frankreichs, wo auf dem Boden der Unzufriedenheit ein greifbares, ursprüngliches, radikal-demokratisches Gewächs namens «Nuit debout» zu wuchern begonnen hat. Ähnlich die Occupy-Bewegung 2011, wo Hunderttausende gegen soziale Ungleichheit, Spekulationsgeschäfte und die zerstörerische Finanzindustrie anrannten.

Bestehendes hinterfragen

Occupy ist verschwunden – das Thema nicht. Auch fünf Jahre später sind die Probleme und Schwierigkeiten noch im Grunde die gleichen. Die Muster ähneln sich, im Grossen wie im Kleinen, global und lokal. Am Ende ergibt sich meistens dasselbe Bild: Immer weniger besitzen immer mehr auf dieser Welt.

Die Ungleichheit nimmt überall zu, auch in der Schweiz. Deshalb das Motto der diesjährigen Podiumsdiskussion: «Soziale Schweiz? – Nachhaltig oder Symptombekämpfung?» Zum SUFO-Auftakt möchten wir die heutigen Modelle der Sozialversicherungen und Sozialwerke hinterfragen und mögliche Alternativen diskutieren. Darum fragen wir: Wie sehen unsere Sozialwerke 2084 aus? Wie können psychologische Aspekte in der Sozialhilfe besser beachtet werden? Wie kann die AHV auf die immer älter werdende Bevölkerung reagieren? Und eben: Sind unsere Sozialwerke nachhaltig oder betreiben sie bloss noch Symptombekämpfung?

 

SUFO 2016

Freitag, 27. Mai: 19 Uhr: Last Minute-Einschreiben, 20 Uhr:
«Soziale Schweiz – Nachhaltig oder Symptombekämpfung?», Podium mit Vertreterinnen und Vertretern von schweizerischen Sozialwerken, Moderation: Corinne Riedener

Samstag, 28. Mai: 9 Uhr: Kaffee & Last Minute-Einschreiben, ab 10 Uhr: Workshops, 16 Uhr: Strassenfest
Infos: sufo.ch

 

Christof Schilling, 1988, ist Landschaftsarchitekt und Mitglied des SUFO Organisationskomitees. Dieser Text erschien im Maiheft von Saiten.