Saiten im Mai: Neue Grafik im Osten
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Junge Grafik? Frische Grafik? Neue Grafik? Oder schlicht: Ostschweizer Grafik? – Visuelles lässt sich bekanntlich schlecht in Worte fassen. Jedenfalls nicht in wenige. Und in unserem Fall ist es besonders tricky, denn: So wie «junge Grafik» nichts mit dem Alter zu tun haben muss, ist auch bei weitem nicht jedes grafische Produkt als «frisch» anzusehen. Und das Wort «neu» ist im gestalterischen Kontext ohnehin eine zunehmend relative Bezeichnung. Im WWW wird ja laufend alles erneuert, spätestens seit Web 2.0 sieht das Netz jeden Tag «neu» aus. Im Gegensatz zu all den Büchern, Plakaten, Prospekten, die, einmal gedruckt, so schnell kein neues Erscheinungsbild erhalten.
Was aber ist das Problem am Label «Ostschweizer Grafik»? Dass es diese gibt, ist durchaus bekannt. Auch ennet den Grenzen. Dass der Osten seine Ikonen hat, ist dank Gestaltern wie Jost Hochuli, Agenturen wie TGG oder Verlagen wie der VGS ebenfalls mehrfach bewiesen.
Dennoch scheint es nicht mehr zeitgemäss, Grafik und Design aufgrund von geografischen Kriterien zu benennen. Oder sie darauf zu begrenzen. Weil nämlich – und da ist es wieder, das WWW– die virtuelle Welt keine Kantons- oder Landesgrenzen kennt. Die Technologien auch nicht. Und die allermeisten Trends haben sich ohnehin noch nie um irgendwelche Grenzen geschert. Ostschweizer Grafik kann demnach auch aus Kuala Lumpur, Rekjavik oder Bern Bümpliz kommen. (Oder aus NewYork. Wie zum Beispiel im Sommer 2012, als unsere Saiten- Grafiker ihr Studio für einigeWochen dorthin verlegt haben.)
Auch wenn wir die perfekte Bezeichnung noch suchen, präsent ist sie natürlich trotzdem, die «Grafik im Osten». Höchste Zeit also für ein Heft zum Thema. Entstanden ist es in Kooperation mit der Abteilung Weiterbildung der Schule für Gestaltung (SfG) in St.Gallen. Deren Leiterin Kathrin Lettner hat sich mit uns an den runden Tisch gesetzt. René Hornung beschreibt die durchwachsene, politisch erschwerte Geschichte einer Institution, und Ralph Hug erklärt, was die Politik sonst noch mit der Grafik zu tun hat. Dazu Beiträge zu Buchgestaltung und den Geheimnissen der Kreativität.
Fehlen noch die neuen Ikonen. Wir haben sie angefragt, sie haben Grafik geliefert. In Form einer «Postcarte blanche», sechs sind es insgesamt. Ausgewählt wurde selbstverständlich höchst befangen und frei nach dem Lustprinzip. Und unter Einbezug von diversen, durchaus sehr parteiischen Fachgremien. Einziges Kriterium: Es sollten junge Gestalterinnen und Gestalter sein, die ein kleines Studio der grossen Agentur vorziehen.
Ausserdem: Fünf Seiten zum HSG-Symposium, vier zum Schloss Werdenberg und immer noch zu wenig über die Frauen im Dadaismus.
Corinne Riedener
DER INHALT:
Reaktionen
Positionen
Blickwinkel von Katalin Déer
Redeplatz mit Marco Baumann
Einspruch von Aline Bürgi
Requiem auf einen Raum VI
Halleluja für eine Skulptur
Neue Grafik im Osten
«Das Ziel ist, dass die anderen dich kopieren»
Vier Gestaltungsprofis über eine Branche im Umbruch.
von Corinne Riedener
«Postcartes Blanches»
von Laura Prim, Rouven Stucki, Jonas Niedermann, Bureau Collective, Modo Designstudio und Annett Höland
Netzmonolog
20 Jahre nach den ersten, ruckligen Websites stellt das Internet Gestalter noch immer täglich vor Herausforderungen.
von Jana Nobel
Alle zehn Jahre neue Konzepte
Wohin entwickelt sich die St.Galler Schule für Gestaltung? Alle zehn Jahre kommen neue Ideen auf den Tisch.
von René Hornung
Sieben Tassen Kaffee und viel, viel Zucker
Mit Designern, Schriftstellern und Regisseuren auf der Jagd nach Kreativität.
von Urs-Peter Zwingli
Gestaltung gegen den Strich
Wie es einem Wahlteam gelang, konventionelle Wahlwerbung aufzubrechen.
von Ralph Hug
Schiff ahoi
Zwei ehemalige Niggli-Verlagsleiterinnen gründen einen neuen Verlag: Triest.
von Peter Surber
Perspektiven
Flaschenpostaus Schottland von Thomas Kreienbühl
Vorarlberg
Thurgau
Rapperswil-Jona
Schaffhausen
Stimmrecht von Yonas Gebrehiwet
Report: St.Gallen Symposium
«Little WEF» für die einen, «proudly small» für die anderen
Im Mai trifft sich die Weltelite an der HSG – und muss sich dort nebst Networking auch harscher Kritik von aussen stellen.
von Corinne Riedener
«Für eine Infragestellung des neoliberalen Regimes bleibt kein Platz»
Der streitbare Ex-HSG-Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann im Interview.
von Rolf Bossart
Kultur
Oben und unten
Werdenberg: Geschichtsunterricht statt Folklore.
von Peter Surber
Nichts ist überstanden
Das Album Sound of Violence des Silent Bass-Projekts wird seinem Titel gerecht.
von Silvan Lassauer
Spartanische Kämpfe
Im Dok-Film Spartiates lehrt ein Kampfsportler Jugendlichen aus den Marseiller Banlieues Disziplin – imRing und im Leben.
von Luca Ghiselli
Dada vor Dada
Ein Jahr vor dem grossen Dadajubiläum feiert das Kunstmuseum Appenzell fünf Dadaistinnen, darunter Sophie Taeuber und Hannah Höch.
von Kristin Schmidt
Der «swarthy» Mittelholzer
Porträt des kaum bekannten Schriftstellers Edgar Mittelholzer mit Innerrhoder Wurzeln.
von Richard Butz
Heimleiter für Schwererziehbare
Das CaBi stösst mit einem Migrationsroman eine Debatte über Integration an.
von Eva Bachmann
Den Zeilen mehr Geschichten geben
René Oberholzer veröffentlicht mit Kein Grund zur Beunruhigung fordernde Gedichte.
von Etrit Hasler
Theater: Mariella Mehrs Angeklagt
Weiss auf Schwarz
Abgesang
Kellers Geschichten
Bureau Elmiger