Sadomaso-Spiele und das Glück im Alter

Auf zur langen Nacht der kurzen Streifen: Die Kurzfilmnacht 2016 tourt mit über 30 Filmen durch die Schweiz. Die Clips sind romantisch, fantastisch – oder auch schwer erträglich.
Von  Urs-Peter Zwingli
Szene aus dem Kurzfilm Anatomie (Bild: pd)

Wer will schon zwei alten Männern bei Sadomaso-Spielchen zuschauen? Genau das mutet uns die Kurzfilmnacht-Tour 2016 in ihrem Programm aber zu: Im neunminütigen Dok-Film Zucht und Ordnung zeigen die beiden deutschen Mittsiebziger Manfred und Jürgen, wie sie sich gegenseitig lustvoll Schmerzen zufügen.

Geschmackssache, aber hier zeigt sich auch eine Stärke des Mediums Kurzfilm: Gefällt einem ein Streifen nicht, so ist er schnell vorbei und vergessen – ein starker Kurzfilm hingegen hallt im Kopf des Zuschauers nach. Umso mehr, weil in Kurzfilmen die Geschichten oft nur angedeutet werden und vieles offen bleibt.

Starkes Material bietet die Kurzfilmnacht-Tour, die am 27. und 28. Mai in St.Gallen und danach in Heerbrugg (30. Mai) und Wattwil (1. Juni) Halt macht, jedenfalls genug: 28 Filme oder über 4,5 Stunden Material werden gezeigt.

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Die Kurzfilmnacht 2015 (Bild: kurzfilmnacht.ch)

Zu diesem Kernprogramm kommen unter dem Titel «Made in St.Gallen» zusätzlich Filme von Ostschweizer Regisseuren hinzu. Welche regionalen Produktionen gezeigt werden, wird allerdings erst zwei Wochen vor der Kurzfilmnacht in St.Gallen bekannt gegeben.

Trickfilme und Standortmarketing-Geschwafel

Die Kurzfilmnacht muss man sich aber nicht als erschlagendes Kinoerlebnis vorstellen: Das Programm ist in Themenblöcke von jeweils etwa einer Stunde aufgeteilt, dazwischen gibt’s Pausen zum Auflockern und Verarbeiten. Den Einstieg in den Abend macht der Block «Swiss Shorts», der sechs teilweise preisgekrönte Schweizer Kurzfilme zeigt, die 2015 produziert wurden, darunter zwei Animationsfilme.

Kurzfilmnacht-Tour 2016: 27. und 28. Mai, Kinok, St.Gallen

Kurzfilmnacht-Soirées mit verkürztem Programm am 30. Mai im Kinotheater Madlen, Heerbrugg und am 1. Juni im Kino Passarelle, Wattwil. Infos: kurzfilmnacht.ch

In einem davon mit dem Titel Ruben Leaves wird mit klaren Strichen und fast ohne Text die Geschichte von Ruben erzählt, einem hypernervösen digital native. Auf dem Arbeitsweg plagen ihn Zwangsvorstellungen: Habe ich die Tür abgeschlossen? Habe ich den Herd angelassen? Mit den Mitteln des Trickfilms, die Logik und Physik spielend überwinden, werden seine üblen Phantasien sogleich Realität.

Irgendwo zwischen Animation und herkömmlichem Film pendelt Subotika – Land of Wonders. In der mit viel Retro-Chic gestalteten Tourismuswerbung wird ein junges Paar auf Hochzeitsreise durch das fiktive Land Subotika begleitet.

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Parodie aufs elende Standortgeschwafel: Subotika (Bild: pd)

Das Land hat seltsame Sehenswürdigkeiten wie etwa ein imaginäres Museum oder sprudelnde Haaröl-Quellen, zum Essen werden Canapés gereicht, auf denen widerliche Tierchen zucken. Die irrwitzigen Reisebilder werden von einer Stimme kommentiert, die das vergammelnde Subotika in den höchsten Tönen lobt – eine schöne Parodie auf jegliches Standortmarketing-Geschwafel.

Fantastische Carte Blanche

Neben dem traditionellen Schweizer Startblock wählen die Kuratoren der internationalen Kurzfilmtage Winterthur für die Tour jedes Jahr neue Themenblöcke aus. In «Back to the Past» werden Publikumslieblinge aus dem Festivalarchiv der letzten 20 Jahre gezeigt.

Und für den Block «Fantastic Nocturne» hatte das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) eine Carte Blanche: Die Neuenburger Fantasten zeigen Raritäten wie den 1901 gedrehten Ultrakurz-Film L’homme à la tête de caoutchouc, aber auch Frisches wie den beklemmenden Dialog zwischen zwei Gangstern in Invaders.

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Pro Vermummung: die Gangsters aus Invaders (Bild: pd)

Aus der Kurzfilmnacht sticht der Themenblock «Happy Age – Wünsche und Sehnsüchte im Alter» heraus. In sechs Kurzfilmen, darunter drei dokumentarischen, wird das Leben, Lieben und Träumen im Alter beleuchtet.

Da wären eben Manfred und Jürgen, aber auch das zärtliche Porträt über die 86-jährige Morag, die alleine im äussersten Westen Schottlands lebt. «Wer kümmert sich um meine Schafe, wenn ich einmal tot bin?», ist ihre grösste Sorge. In der filmischen Rückschau auf ihr einfaches Leben im ländlichen Schottland blättert sie in einer Szene durchs Familienalbum und stösst auf ein Bild, das sie als etwa 30-Jährige zeigt. «Kaum zu glauben, dass ich jemals so jung war», sagt sie und verliert sich in Erinnerungen.

Dieser Text erschien im Maiheft von Saiten.