In der Kreativ-Nische

Draussen steht eine Art Christbaum. Mit einer App kann man sein Licht steuern – ein kurzer Spass bei dieser Affenkälte, trotz Strobo und Regenbogenpalette. Sobald man aber durch die Tür kommt, schlägt einem Wärme entgegen: überall Lichter, Teppiche, Sofas und gute Leute. Mehrheitlich Junge, nicht wie sonst so oft wenn es um Kunst und Ausstellungen geht.
Das «Atolor» an der Brauerstrasse 25 in St.Gallen ist ein typischer Off-Raum: ohne Alarmanlagen und weisse Wände, dafür mit improvisierten Aschenbechern, Live-Musik und einem WC in der Dunkelkammer. Ein gemütlicher Estrich, der nach umtriebigem Gewusel riecht, und ein bisschen nach Acryl-Farbe. «Dä Scheiss hät verdammt vill mitem Läbä ztue», meinte ein guter Freund beim Ankommen.
Noch bis Mittwochabend zeigen hier über 15 Kunstschaffende aus St.Gallen und Umgebung ihre Kunst, darunter Eruk T. Soñschein, Mariano Facci, Joel Roth, Rouven Lemon, Sugar Mirko, Nicola Hörler, Irina Rachel, Catharine Scheller, Christian Suter, Martin Meier, Phil Bischof, Patrick Jost und Benjamin Täschler. In Gedanken und mit einigen Arbeiten auch im Atolor omnipräsent: der 2014 verstorbene Künstler Stef Schwald.
Ein bisschen von allem
Was will dieser Ort im Osten der Stadt, der normalerweise als Atelier dient und dieser Tage ein bisschen an die «fünfstern»-Reihe erinnert? Ist das Atolor ein offenes Atelier? Eine Pop Up-Galerie? Ein eigenwilliges Museum?
«Ein bisschen von allem», sagen die Initianten Rouven Lemon und Sugar Mirko. «Wir wollten keine stiere Ausstellung machen, sondern die gängigen Formen durchbrechen. Es sieht hier jeden Tag anders aus: Die Werke werden von uns laufend auf-, um- und abgehängt, ständig kommt Neues hinzu.»
Kein ganz einfaches Unterfangen angesichts der vielen Balken und Dachschrägen im Atolor. Bei insgesamt über 80 Werken wird jeder freie Zentimeter gebraucht – und in jeder noch so kleinen Lücke gibt es etwas zu entdecken, so auch einige der filigranen Marionettenfiguren von Eruk T. Soñschein, die auf Knopfdruck allerhand komische Verrenkungen und Knickse machen, zum Beispiel der grüne «Zitteri» im nahezu stockdunklen WC.
Tod auf dem Mittelmeer und ein willkommener Zeitfresser
In der hinteren Ecke, versteckt zwischen Farbtöpfen und Schneidmaschinen, befindet sich ein interaktives Buch von Patrick Jost, auch Elektromeier genannt – ein Zeitfresser im besten Sinn, denn einmal hineingeblättert, kann man fast nicht mehr aufhören, mit Licht Dinge abzuschiessen, Statistiken und Farbspektren zu verändern und den menschlichen Körper von oben bis unten zu röntgen.
In der Mitte des Raums hängen vier grossformatige Arbeiten von Sugar Mirko. Eine davon zeigt einen siebgedruckten Drachen, der die Festung Europa symbolisieren soll und wehrlose Menschen verschlingt – eine Anlehnung an das Projekt «Flüchtlinge Fressen» der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit.
Kunst im Atolor: noch bis 11. Januar, jeweils 14 bis 20 Uhr, Brauerstrasse 25, St.Gallen.
Ein anderes Bild zeigt einen jungen Mann, der sich um einen Geflüchteten kümmert. Ausgangspunkt dafür war eine Fotografie dieser Szene auf einem Rettungsboot vor der libyschen Küste. Mirkos Freundin, Catharine Scheller, war letzten Oktober für zwei Wochen auf einem Seenotretter, wo sie mithalf, Schiffbrüchige in der Passage nach Italien aus dem Meer zu fischen.
Authentizität, Selbstreflexion und Geschlechterbilder
Ansonsten gibt es wenig explizit politische Werke im Atolor. Vieles sind Illustrationen, Portraits oder Körperstudien, so auch der Glitzerkitzler von Rouven Lemon, den man aber durchaus auch als Statement lesen kann.
«Wir wollten es allen selber überlassen, wie politisch sie sein wollen», erklärt er. «Ich zum Beispiel komme von der Grafik her, weniger von der Kunst. In meinen Arbeiten geht es vor allem um Authentizität, Selbstreflexion und alternative Geschlechterbilder – um Präsenz im Leben».
Die Ausstellung im Atolor ist die zweite grössere Zusammenarbeit von Rouven Lemon und Sugar Mirko. Im Sommer 2015 haben die zwei Brüder bereits das Meet and Paint auf dem St.Galler Kinderfestplatz organisiert, im Lauf dieses Jahres sollen weitere Projekte folgen. Ihr Ziel: Leute zusammenbringen, Kunstschaffende vernetzen und «die Kreativität in all ihren Facetten feiern».
«Am Mittwoch zur Finissage gibt es nochmal Mukke von Hamroy an den Tellern und von Bobby Moor am Keyboard. Cocktails & Bitters mixt giftige Drinks und zum Schluss sollten dann auch effektiv alle Kunstwerke gehängt sein – inklusive Werkliste!», sagen die Brüder lachend. Deren erste Fassung ist den beiden nämlich abhanden gekommen, Technik sei «Dank».