Im Dezember: Saiten schafft Ordnung
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Und hinter tausend Bildern keine Welt… Dieses Heft fragt, in Anlehnung an eine Zeile von Rilke: Wie kann man obenauf schwimmen in der Bilderflut, wie nach Schätzen tauchen? Unsere Welten wollen geordnet sein – davon erzählen die Archive. Sie sind der Versuch, Orientierung zu finden, mit fotografischen Sammlungen wird eine visuelle Verbindung zur Vergangenheit geschaffen. Eigene Erinnerungen verschmelzen zum kollektiven Gedächtnis – auch zum regional verankerten. Ein in Kürze erscheinender Bildband nimmt sich dem fotografischen Erbe der Ostschweiz an und stellt zwölf hiesige Archive vor. Ist ein solches Buch noch zeitgemäss? Die Frage führt unweigerlich zum Gross-Thema Digitalisierung: Wie bleibt das fotografische Gestern zugänglich für morgen?
Die weitherum und mit Selbstverständlichkeit geführte Debatte täuscht über das Nicht-Selbstverständliche hinweg: Sich mit Archiven herumzuschlagen ist ein Privileg, Folge einer nicht-nomadischen Lebensweise und einer langen Phase des Friedens. So kann gehortet und rekonstruiert werden, nichts ist im Krieg verbrannt oder musste zurückgelassen werden. Das Wesen des physischen Archivs ist dem der Migration entgegengesetzt. Und es ist Inbegriff von Definitionsmacht: Wer entscheidet, was wert ist, archiviert zu werden? Nach welchen Kriterien wird gesammelt, wie gewichtet und geordnet?
Archive bleiben stets subjektiv und fragmentarisch – und so sind auch die Zugänge in diesem Heft. Die Fotografen Claudio Baeggli und Sebastian Stadler reden über ihre zuällig ergatterten Beutestücke; Claudio Bucher hat die in einem Schliessfach der UBS wartende Geschichte über den Maler Herbert Boeckl und seine Geliebte Marcile gefunden. Im planlosen Sammeln verstecken sich Überraschungen, wie sie der Historiker Stefan Keller sucht. Und die Fotografin Katalin Deér hört im Echo des Archivs die Gegenwart.
Punktum: Saiten schafft selber «Ordnung», hat für einmal Bild und Text getrennt und fügt zusammen, was zusammengehören könnte. Das ungewohnte Erscheinungsbild dieser Ausgabe lehnt sich an alte Publikationen an, bei denen aus technischen Gründen die Bilder in der Mitte versammelt waren. Es ist aber auch inspiriert durch Künstler wie den Hamburger Peter Piller, der in seinen Arbeiten mit vorgefundenen Bildern das Banale multipliziert, bis sich das Besondere zeigt. Auf zum fröhlichen Bilderfinden in der ordentlichen Unordnung!
DER INHALT:
Reaktionen
Positionen
Blickwinkel von Sebastian Stadler
Redeplatz mit Fred Kurer
Einspruch von Greenpeace
Stadtpunkt von Dani Fels
Hört, hört I+II
Stimmrecht von Leyla Kanyare
Perspektiven
Flaschenpost: St.Petersburg von Lika Nüssli
Appenzell Ausserrhoden
Winterthur
Toggenburg
Rheintal
Report
Die Wartende.
von Claudio Bucher
FOTOARCHIVE
Von Daguerreotypie bis Instagram.
Historische Fotoarchive heute.
von Peter Surber
Bilderbeute.
Die Fotografen Stadler und Baeggli im Gespräch.
von Katharina Flieger
Die Wucht des Belanglosen.
Peter Piller im Fotomuseum Winterthur.
von Krisn Schmidt
Archiv-Echo.
Wieder-Fotografieren mit eigenem Blick.
von Katalin Deér
Tausend Schnipsel.
Eine Geschichte.
von Corinne Riedener
Saiten-Fotografen und ihre Archive.
Bildlegenden
Theater
Theater im Erschöpfungsfuror.
Auszug aus Krik des Theaters.
von Bernd Stegemann
Literatur
Die Leistungen des Niggli-Verlags.
von Eva Bachmann
Neue Bücher aus dem O.
von Florian Vetsch
Film
Marcel Gislers Elecoboy.
von Andreas Kneubühler
Kunst
Lebendes Design-Archiv.
von Peter Surber
Musik
Gutes vom Stern.
von Felix Michael Grieder
Weiss auf schwarz
Joachim Ringelnatz
Abgesang
Kellers Geschichten
Bureau Elmiger
Boulevard
Manuel Stahlberger zeichnet den Dezember-Comic.