Heller als Weiss, klarer als gedacht
Durch die grosse Scheibenfront ist gedämpft Strassenverkehr zu hören. Noch riecht es nach frischer Farbe. Gilgi Guggenheim sitzt auf einer Holzbank, dem einzigen Mobiliar in diesem Raum im Parterre des Jugendstilgebäudes an der Haldenstrasse. Kein Tisch, kein Stuhl. Kein Bild. Nichts. Ausser dieser Leere. Ist es das ferne Rauschen des Strassenverkehrs, welches die Stille im Raum so klar hörbar macht – und damit auch eine gewisse Verheissung, die darin mitschwingt?
So war es beim Besuch vor drei Wochen. Jetzt, zur Museumsnacht eröffnet Guggenheim hier ein Museum der Leere. Als Künstlerin setzt sie sich seit Jahren mit Bereichen auseinander, die sich der Darstellung entziehen. So etwa mit der Frage, wie sich ein Licht auf die Leinwand bringen lässt, das «heller ist als das hellstmögliche Weiss».
Idee mit Strahlkraft
Das Thema der Leere beschäftigt die Künstlerin seit fünf Jahren. Aufgrund der immer grösser werdenden Bilderflut nahm sie eine gewisse Bildermüdigkeit in unserer Gesellschaft wahr. Als Dozentin für das Fach Inspiration an der Höheren Fachschule für Bildende Kunst und in offenen Atelierkursen wiederum hat Guggenheim eine Methode entwickelt, in der es darum geht, kreative Kraft aus der Leere zu schöpfen.
MoE Museum of Emptiness, Museum der Leere; Haldenstrasse 5, St.Gallen.
Eröffnung: Museumsnacht St.Gallen, 10. September, ab 18 Uhr.
An der Museumsnacht öffnen insgesamt 34 Institutionen ihre Türen bis 24 Uhr. Das verbindende Thema heisst: Spiel.
Nun geht Guggenheim einen Schritt weiter und möchte der Stadt ein Stück Leere schenken. So simpel die Idee auch scheint, ihre Wirkung ist erstaunlich: «Verglichen mit der Lunge, die sich füllt und leert, ist es als stelle sich – allein schon durch die Idee und Vorstellung eines solchen Museums – bei Vielen das Gefühl ein, mehr Raum zum Atmen zu haben.»
Tatsächlich. Schon an diesem Nachmittag ist an der Haldenstrasse eine Leere spürbar, die über das Nichtvorhandensein von Material hinausgeht. Als ob sich die Leere diesen Raum, in dem zuvor schon eine Kunstmalerin gearbeitet hat, ausgesucht hätte, um sich in aller Stille verdichten, ausbreiten und entfalten zu können. Liegt darin das Geheimnis: dass sich die Idee je eher von selbst realisiert, desto heller die Vorstellung davon ist?
Eine wachsende Sammlung
Guggenheim versteht das Museum als «begehbare architektonische Skulptur» ebenso wie als «kuratorisch agierende Plattform». Das Foyer soll in erster Linie zur Auseinandersetzung und zum Austausch dienen. Es beinhaltet eine ständig wachsende Sammlung mit Bezügen zur Leere von theoretischen bis künstlerischen Sichtweisen. In einer Hörstation sind derweil Gedanken und Ideen zur Leere von Kindern und Erwachsenen zu hören.
Der Ausstellungsraum ist vom Foyer aus durch einen offenen Wandrahmen zugänglich. Die Leere, das eigentliche Werk des Museums, wird erst durch das Eintreten in diesen Raum erlebbar. Besucherinnen und Besucher, die sich auf diese, wie Guggenheim sagt, kostbare Leere einlassen, können sie sich zu eigen machen und in ihren Alltag mitnehmen: «Sobald sie den Ausstellungsraum verlassen, splittert sich die Leere in einzelne Teile auf. Dabei verliert sie aber nicht an Volumen. Vielmehr dehnt sie sich dadurch über ihre räumliche Grenze aus. Daraus kann ein Netzwerk der Leere entstehen.»
Vom Erarbeiten der Leere
Episodisch will Guggenheim den Raum Kulturschaffenden aus unterschiedlichsten Sparten zur Verfügung stellen, deren Arbeit sich auf die Leere bezieht – und die den Raum in keiner Weise gefüllt hinterlassen soll. An den Vernissagen werden also höchstens sicht- oder unsichtbare Spuren einer immer wieder von neuem erarbeiteten Leere wahrnehmbar sein.
Nach und nach baut sich so eine Art angesammelte Gruppenausstellung der Leere auf. Wobei es den Kunstschaffenden freistehen soll, ihren Arbeitsprozess in schriftlicher, zeichnerischer, akustischer, fotografischer oder filmischer Form als Aufzeichnung im Foyer abzulegen. Dort sollen auch die Filme der Leere, die einzig erhältlichen Werkstücke, aufliegen: An den besuchsfreien Tagen nach jeder Vernissage wird eine im Ausstellungsraum stationierte Kamera die wiedergewonnene Leere 90 Minuten lang filmen.
Eine erste Duftnote
Zum Auftakt von Guggenheims Eröffnungsausstellung «brighter than white» an der Museumsnacht wird das Museum vom Wiener Konzeptkünstler Paul Divjak, der als Duftpoet bereits internationale Museen olfaktorisch verwandelt hat, mit seiner molekularen Installation «Memories of Water» eingeweiht. Ab dann kann das Museum ausserhalb der Öffnungszeiten auch als Inspirations- und Arbeitsraum reserviert werden. Es soll ein Raum für alle sein. Oder wie es Guggenheim formuliert: «Ich erweitere das Kulturangebot um ein Angebot weniger.»
Dieser Beitrag erschien im Septemberheft von Saiten.