Gertrud, Elvis, Paul und Paula
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Gertrud Müller hat einen speziellen Humor: «Sie haut ziemlich um sich. Wenn es dich nicht trifft, ist es lustig. Aber mich macht sie immer fertig», sagt Frauke Jacobi, die Leiterin des St.Galler Figurentheaters, über Gertrud Müller, ohne eine Miene zu verziehen.
Gertrud, eine menschengrosse Klappmaulpuppe mit wildem orangenen Haar, geführt von Frauke Jacobi selbst, ist das Maskottchen des Figurentheaters St.Gallen. Wobei Gertrud, die zur intellektuellen Kunstszene gehört (oder das zumindest glaubt), es schrecklich findet, ein Maskottchen zu sein. In ihrem ersten Soloprogramm Gertrud tritt auf und Frau Jacobi muss mit versucht Gertrud deshalb auch eigenständiger zu werden. Doch das klappt nicht: «Ich bin dabei und das ist auch ihr Problem», sagt Jacobi.
Im zweiten Teil des Abends spielt Gertrud Romeo und Julia mit Gegenständen. Romeo ist ein Feuerzeug. Julia eine Kerze, die von Romeo alias Feuerzeug entzündet wird. Das sei das Schöne im Figurentheater, dass man so leicht Bedeutungen übertragen kann – leichter als im Schauspiel.
Figurentheater kann mörderisch sein
Bei Figurentheater denken die meisten sofort an Kasperlitheater für Kinder. Das sei so nun mal in den Köpfen verankert, sagt Jacobi. Eine flache Guckkastenbühne mit Handpuppen, die Spieler dahinter versteckt, ein schlauer Kasperli überlistet den bösen Teufel: So kennt man Kasperlitheater. Dass Theater mit Puppen auch anders funktioniert und zudem sehr gut für Erwachsene, beweist das Figurentheater auch diese Saison.
Frauke Jacobi (künstlerische Leitung) und Stephan Zbinden (kaufmännische und technische Leitung) brachten Gertrud Müller mit, als sie 2014 die Leitung des Figurentheaters als Nachfolger des verstorbenen Tobias Ryser übernahmen. In der Zwischenzeit hat sich die aufmüpfige Dame eine grosse Fangemeinde «erplappert».
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer: bis 16. November, weitere Vorstellungen ab 14. April
The King: 10./11. November
Das Gold des Hasen: 19, 20. und 23. November
Gertrud tritt auf und Frau Jacobi muss mit: 8./9. Dezember
Hin ist Hin: 19./20. Januar
In diesem Jahr ist sie gleich in drei verschiedenen Produktionen zu sehen: Nach dem Auftakt mit dem Soloprogramm empfängt Gertrud Müller zusammen mit Horst Hablützel (gespielt von Lukas Bollhalder) im Februar Slampoeten. Dabei ist das Spiel zwischen Gertrud und Horst schon ein Spass für sich: Die intellektuelle Gertrud nützt jede Gelegenheit, den prolligen Horst blosszustellen. Im April dann schmeisst Gertrud ein Fest: Gertrud will feiern. Zum Bühnenfest lädt sie berühmte Persönlichkeiten ein, die allerdings lange auf sich warten lassen. Die Schauspielerin und Regisseurin Andrea Schulthess und Puppenspielerin Kathrin Bosshard feiern mit.
Figurentheater ist sehr bildhaftes Theater. Man könne leichter andere Welten erschaffen als im Schauspiel. «Zudem ist auch der Unterschied von gross und klein einfacher darzustellen als im klassischen Theater», sagt Jacobi. Ein Beispiel: Bei der ersten Kinder-Premiere der Saison, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, ist die Figur des Pingpong winzig wie eine Erbse und Lukas und Jim sind im Vergleich dazu immer noch viel grösser.
«Figuren können auch brutal sterben und barbarisch sein», sagt Jacobi. Bei Gertrud wird kriminell im vergangenen März wurde im Schattentheater gemordet. Was hinter der Leinwand ganz harmlos aussieht, wirkt davor bedrohlich. Angst sollen die Stücke für Kinder zwar nicht machen, aber Jacobi sieht grundsätzlich keinen Unterschied beim Inszenieren für Kinder oder für Erwachsene. Je nach Thema überlegt sie sich allerdings, was sie für Kinder vereinfachen muss. Auch die Machart der Figuren unterscheidet sich kaum. Der kleine Drache Nepomuk (hergestellt von Johannes Eisele) in Jim Knopf ist süss und niedlich, könne aber auch problemlos in einem Erwachsenentheater auftreten und einen philosophischen Text sprechen.
Ein Star – und ein Stück über Stars
Dieses Jahr sind im Abendprogramm drei Gastspiele zu sehen: Am 10. und 11. November steht Puppenspiel-Legende Neville Tranter aus den Niederlanden mit The King auf der Bühne. «Ein Meister in der Trennung zwischen Puppen und Mensch», sagt Jacobi. Er steht neben ihnen, ist eine eigenständig Person, wie auch die Puppen. Seine Kunst in Worte zu fassen sei schwierig, man müsse es gesehen haben. Die Geschichte dreht sich um Elvis Presley, es könnte aber auch Michael Jackson sein – jedenfalls geht es um den Aufstieg und Fall eines Superstars.
Das zweite Gastspiel am 19. und 20. Januar ist von Dakar Produktion: Hin ist Hin frei nach Ödön von Horváths Roman Der ewige Spiesser. Das dritte Gastspiel im März 2017 ist eine One-Woman-Show von Rike Schuberty namens Paul und Paula – eine Legende. Rike Schuberty benutzt Fotos und eine kleine Figur, und sie singt die alten Hits aus dem gleichnamigen DDR-Film.
Das ist das Schöne am Figurentheater: «Du kannst alleine eine ganze Welt auf die Bühne bringen. Du musst dich dazu nicht verkleiden, mit einfachen Mitteln kannst du eine Geschichte erzählen. Bist so auch ein bisschen Gott auf der Bühne», sagt Jacobi. Am Ende des Gesprächs gehen wir zu Gertrud ins Nebenzimmer: «Sie sehen heute aber schlecht aus, Frau Jacobi», sagt sie. Ja … charmant ist das Maskottchen wahrlich nicht.
Dieser Beitrag erschien im Novemberheft von Saiten.