Generation Pavillon

Was bleibt nach vier Tagen Schlamm und Musik? Ein Abfallberg im Sittertobel, die grinsende Fratze der Wegwerfgesellschaft.

Von  Corinne Riedener

Es ist Sonntagabend halb zehn. Die Openairler pilgern Richtung Bus. Vielleicht nehmen sie einige tolle Erfahrungen oder blaue Flecken mit. Bestimmt aber nehmen die Besucher aus der ganzen Schweiz ein Stück St.Gallen mit nach Hause. In Form von Schlamm an den Schuhen. Unter tatkräftiger Mithilfe ihrer Komplizin, der SBB.

Doch die Festbrüder und -schwestern tragen in einer etwas verqueren, schlammverschmierten Standortrhetorik nicht nur etwas nach draussen, sie hinterlassen auch etwas im Sittertobel: einen verdammten Kriegsschauplatz. Eine grinsende Fratze der Wegwerfgesellschaft. Zwischen den Müllhaufen aus Stroh, Grillutensilien und Liegestühlen duellieren sich bierschwangere Festivalzombies mit Zeltstangen und hauen kaputt, was noch steht und nicht vollgeschmiert ist.  Jungwächtler stehen vor ihrem 1000-fränkigen Zelt, das sie seit zehn Jahren ins Tobel mitnehmen – jetzt debattieren sie darüber, ob sie es wirklich wieder mitschleppen sollen. Denn der Weg ist weit und bald wird es dunkel. Als wir nachfragen, ist es ihnen offensichtlich peinlich, und sie versprechen, das erstaunlich saubere Zelt mitzunehmen.

Ausgerechnet im ersten Jahr, in dem das Openair-OK ein Rückgabesystem für Zelte lanciert hat (10 Stutz in bar für ein intaktes Zelt), bleibt mehr Abfall denn je liegen. An anderen Orten der Welt würden die Menschen Grills, Turnschuhe, Schlafsäcke oder vakuumiertes Steak womöglich nicht als Müll bezeichnen. Die hippen Openair-Gäste mit ihren aufgemalten Schnäuzen offenbar schon. Der Blick vom Hügel fällt über ein Meer aus weissem Plastik. Pavillons, soweit das Auge reicht. Aber was ist schon ein Pavillon, wenn man 300 Franken für ein Ticket und weitere 300 für Cocktails im Bacardi Dome liegenlässt? Entbehrlich. Überflüssig. Ersetzbar. Ein Klacks.

Die Zelte, die zurückgegeben werden, gehen an ein Hilfswerk, sagt das Openair-OK. Und es hält sich das Gerücht, dass sie an Flüchtlingslager gehen sollen. Warum auch nicht? Sitzen nächstes Jahr somalische Flüchtlingskinder mit Kopftuch in weggeworfenen Zelten der Sanktgaller Jugend herum und warten auf eine bessere Zukunft? Ist das zynisch? Hauptsache, wir haben etwas Nachhaltiges getan. Ein Zelt für ein Soft Ice. Ein Bierbecher für unser schlechtes Gewissen. Und eine Kühlbox für die Ameisen im Sittertobel.

Es wird langsam Nacht. Wir sitzen in liegengelassenen Liegestühlen herum und fragen uns: Was lief hier schief? Ist  es das Festival selber, das aus Zwang zur Wirtschaftlichkeit in den Kommerz abrutschte und heute mehrheitlich Konsumpublikum anzieht? Oder gehören diese jungen Menschen (zwei Drittel von ihnen zwischen 20 und 25) einfach zur Generation Pavillon?

Am Ausgang steht ein älterer Mann mit Wollpullover und langen Haaren und fragt die vorbeiströmenden Menschen nach übriggebliebenen Depot-Marken. Das Schild in seiner Hand: „Ein Jeton für Afrika.“ Zusammen mit den gesammelten Bechern erhält er pro Jeton zwei Franken. Seine Ausbeute ist beachtlich. Aber es ist ja auch weniger anstrengend, Jetons in einen Becher zu werfen, als das verschmierte Zelt abzubauen für läppische 10 Stutz. Irgendwiee erinnert das Ganze an einen „Gefällt-mir“-Klick – die sind etwa gleich wirkungsvoll und ressourcenschonend.