Falsche Fragen, falsche Gewichtungen
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Kinderfest – Bratwürste – Ausrufen über die Stadtentwicklung…
Manchmal scheint es, als wäre der Ärger über das Manko bei Bau und Planung zu einer neuen St.Galler Spezialität geworden. Die latente Verdrossenheit findet in den letzten Jahren immer wieder Ausdruck: in Abstimmungsresultaten, in Petitionen für den Erhalt von Villen, in Gesprächen an Tischen oder in Initiativen – wie aktuell derjenigen zum Güterbahnhof. Und dann gab es in der jüngeren Geschichte der Stadtpolitik noch diese eigentliche Signalrakete der Unzufriedenheit: die Wahl von Markus Buschor in den Stadtrat im November 2012.
Buschor-Wahl, Bahnhof Nord: Das Volk mischt sich ein – oder versucht es zumindest Die Kritik an Baukultur und Stadtplanung hatte damals den Wahlkampf wie ein Hintergrundrauschen begleitet. Kulminationspunkt war die Empörung über die fehlenden Lifte in der Bahnhofsunterführung. Unter anderem mischte sich der Unternehmer Max Kriemler als Kritiker der Olma-Hotelpläne ein. Und zahlte einen Teil des Wahlkampfbudgets des parteilosen Architekten Markus Buschor. Der implizite Auftrag: Aufräumen und besser machen.
Im Nachhinein alles ein grosser Irrtum: Nach dem Rücktritt von Elisabeth Beéry wollten sich die bürgerlichen Parteien auf jeden Fall die Baudirektion zusichern. Schliesslich geht es auch um Machtpolitik. Konkret: Wenn einer der beiden SP-Kandidaten gewählt worden wäre, hätte Fredy Brunner die Direktion gewechselt.
Bekanntlich kam es dann anders. Patrizia Adam wurde Stadträtin und erhielt Bau und Planung. Markus Buschor hingegen sitzt in der Schuldirektion und vertritt dort keine Partei und schon gar nicht den Teil seiner Wähler, die ihn wegen ihres Ärgers über die Stadtplanung gewählt hatten.
Güterbahnhof-Initiative oder: Das verzweifelte Winken mit Fähnchen in Richtung Bern
Das Wahl-Missverständnis, die bisher folgenlose Initiative für einen autofreien Marktplatz, die kaum Wirkung zeigende Petition für die Villa Wiesental oder die sich fortsetzenden Gespräche am Tisch hinter den Gleisen mit ungewissem Ergebnis – alles immer neue und indirekte Versuche, dem Stadtrat einen Auftrag zu erteilen: Er lautet schlicht: Macht etwas!
Oder genauer: Sperrt den Marktplatz für die Autos! Macht aus dem Bahnhof Nord ein lebendiges Quartier! Dämmt den Einfluss von Investoren ein! Entwickelt selber und verhandelt erst dann mit Nutzern!
Einziges Ergebnis bisher war Stillstand, wohin man schaut: Marktplatz, Bahnhof Nord, Güterbahnhof – alle Entscheide aufgeschoben.
Blossen Aufforderungscharakter hat auch die Güterbahnhof-Initiative, über die am 28. Februar abgestimmt wird. Sie verpflichtet den Stadtrat, sich für einen Verzicht auf einen Autobahnanschluss auf dem Areal neben dem Güterbahnhof einzusetzen. Das tönt einigermassen vage und betrifft auch nur einen Teil des Grossprojekts. Klar ist, dass die Initiative keinen Einfluss auf den Bau einer dritten Autobahnröhre hätte. Für die Teilspange – den Abzweiger bis zum Güterbahnhof – bekäme sie Bedeutung, wenn dadurch eine Überbauung des Areals behindert würde.
Was das für die Projektvariante heisst, die im Frühjahr 2015 vorgestellt wurde, ist nicht klar. Angekündigt wurde damals, einen Teil des Verkehrs über einen unterirdischen Kreisel unter dem Güterbahnhofareal in einem Tunnel bis ins Riethüsli zu führen.
Finanzierung unklar, Realisierung irgendwann um 2028
So wenig wirkungsvoll sich der Initiativtext auch liest – es war die einzige Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Ein Winken mit Fähnchen in Richtung Bern, einfach um zu zeigen, dass es in St.Gallen nicht nur Befürworter gibt. Das Autobahnprojekt gehört zu jenen Bauvorhaben, bei denen die demokratischen Einflussnahmen systembedingt klein sind – oder gar nicht vorhanden. Manchmal, weil private Investoren am Werk sind wie bei der Tiefgarage Schibenertor namens Union plus. Manchmal, weil die Gelder aus Bundesprogrammen oder aus dem kantonalen Fonds für den Strassenbau stammen.
Das kann man bedauern, aber Abstimmungen sind oftmals ebenfalls keine Lösung: weil ein Nein-Votum jeweils nur beschränkte Aussagekraft hat. Und danach das grosse Rätselraten über die Stolpersteine beginnt: Was war beim Volks-Nein in der ersten Marktplatz-Abstimmung der ausschlaggebende Grund? War es die Parkgarage (natürlich war es die Parkgarage) oder doch die Calatrava-Wartehalle?
Abstimmungen haben einen weiteren Nachteil: Weil an der Urne, so zumindest die vorauseilende Befürchtung, nur Mehrheiten gefunden werden, wenn die Vorlagen möglichst keine umstrittenen Teile mehr enthalten, verleitet dies die Behörden dazu, keine Würfe zu präsentieren, sondern die Kompromisse von Kompromissen. Am liebsten siebenmal abgesichert durch Umfragen und partizipative Verfahren. Diesbezüglicher Höhepunkt war die zweite Vorlage für einen neuen Marktplatz, die eigentlich nichts mehr beinhaltete als eine überdimensionierte WC-Anlage – und im März 2015 genau daran scheiterte.
Verzicht auf Mitsprache würde Sinn machen
Zu solch unproduktiven Entscheiden gäbe es eine Alternative, die allerdings einen Verzicht auf Mitsprache beinhaltet: Es müsste möglich werden, den Stimmberechtigten Projekte vorzulegen, die bloss knapp umrissen sind. Die Vorlage zur Neugestaltung eines Platzes würde dann nur noch die Höhe des Kredits und einige Eckpunkte enthalten. Bei einem Ja an der Urne wäre die Ausgestaltung danach Sache der Behörden. Im Fall des Bahnhofplatzes läge es in deren Kompetenz, über Details wie Wasserspiele oder sogar grundlegende Bestandteile wie die Länge der Fussgängerunterführung zu entscheiden – einfach im Rahmen des Budgets.
Damit wäre allerdings das Problem von kontroversen Grossprojekten wie dem Ausbau der St.Galler Stadtautobahn nicht gelöst, weil dort die Stimmberechtigten in den betroffenen Gemeinden nicht einmal grundsätzlich dazu Stellung nehmen können. Der Grund ist der Kostenverteiler: Den grössten Teil der Ausgaben trägt der Bund aus einem vom Parlament dotierten Programm namens Engpassbeseitigung auf den Nationalstrassen.
Zufahrtsstrassen blieben möglicherweise beim Kanton – allenfalls bezahlt aus dem Strassenbauprogramm. Ob über die Ausgaben der Stadt abgestimmt werden könnte, ist bisher nicht abzuschätzen. Auf jeden Fall käme ein solcher Urnenentscheid erst dann, wenn die Planungen schon fixfertig vorliegen würden. Bei solch strittigen Projekten ist deshalb die politische Haltung der Behörden entscheidend. Sie werden regelmässig konsultiert, stimmen in Stellungnahmen den Plänen zu oder verlangen Korrekturen.
Bisher hat sich aber der St.Galler Stadtrat in jeder Phase stets demonstrativ hinter den Ausbau der Stadtautobahn gestellt: Hinter die dritte Tunnelröhre, hinter die Ausfahrt auf dem Güterbahnhof und hinter die Verlängerung des Tunnels bis ins Riethüsli. Doch das sollte niemanden überraschen: Setzt sich doch der Stadtrat mit Patrizia Adam (CVP), Nino Cozzio (CVP) und Thomas Scheitlin (FDP) mehrheitlich aus Vertretern der Gewerbe- und Autolobby zusammen.
Durchmesserlinie, Stadttram: Wenn man das Volk gefragt hätte…
Was allerdings möglich wäre, wenn in einer anderen Zusammensetzung andere Prioritäten gesetzt worden wären, lässt sich rund um den Güterbahnhof aufzeigen. Oberhalb des Areals beginnen nun die Arbeiten am grössten ÖV-Projekt in der Region: Dem Riethüslitunnel und der Durchmesserlinie, die rund 90 Millionen Franken kosten werden. Der Bund zahlt daran so viel, dass weder die Stadt noch die beteiligten drei Kantone (AI, AR, SG) darüber abstimmen mussten.
Das Ganze ist keine neue Idee: Bereits 1972 war ein erstes Tunnel-Projekt vorgestellt worden. Danach wurde das Projekt immer wieder verworfen – und tauchte genau so regelmässig wieder aus der Versenkung auf. Zuletzt 2007, als der Region St.Gallen ein Projekt für den gut dotierten Agglomerationsfonds des Bundes fehlte. Die alten Pläne wurden etwas aufgefrischt, dem Bund präsentiert und passierten danach alle Gremien ohne öffentliche Diskussionen.
Wenn man aber in einer Umfrage erheben würde, welches für die Stadt St.Gallen das zentrale ÖV-Projekt wäre, das sie nicht alleine stemmen kann und das auch den Pendlern aus den Agglomerationen viel bringt, wäre die Antwort klar: sicher nicht eine direkte Zugverbindung zwischen Appenzell und Trogen.
Es wäre eine Tramverbindung mit eigenem Trassee, die die Stadt von Ost nach West erschliessen würde. Doch dafür hatte sich damals niemand stark gemacht, es lagen auch keine Pläne und Konzepte vor, weil die Idee nicht vorangetrieben worden war. Und deshalb wird nun ein Tunnel gebaut, der die Stadt St.Gallen dem Steuerparadies Teufen fünf Minuten näher bringt, während sich die VBSG-Busse noch lange durch den Stossverkehr quälen.
Mustersiedlung auf dem Güterbahnhofareal
Der Vorwurf der falschen Gewichtung und der fehlenden Initiative trifft auch für das zweite Projekt auf dem Areal des Güterbahnhofs zu. Im Abstimmungskampf versucht nun das Initiativkomitee, mit einem Ideenwettbewerb der Bevölkerung den Wert der Parzellen aufzuzeigen.
Eigentlich aber wäre dies nach dem Scheitern des ersten Projekts der Karl Steiner AG 2007 an der Urne Sache der Stadt gewesen. Man stelle sich vor, mit dem gleichen Elan wie etwa bei der Geothermie wäre dort für die Energiestadt St.Gallen eine ökologische Mustersiedlung geplant worden. Natürlich autofrei, ausser für Mobility. Beheizt mit Fernwärme, dazu mit allen energiesparenden technischen Schikanen in Zusammenarbeit mit der Empa und mit Produkten der regionalen Hightech-Textilindustrie.
Eine Pionierleistung, besprochen in allen Medien.
Natürlich käme dann niemand auf die Idee, genau dort eine Autobahnausfahrt zu planen. Aber weil die Gelegenheit nicht ergriffen wurde, kaufte schliesslich der Kanton das Areal den SBB ab. Danach erwies sich das unbebaute Gebiet als ideale Ausfahrt für die Autobahn, weil damit der Knoten Kreuzbleiche entlastet werden kann. Und nun muss mit einer etwas verkorksten Initiative darüber abgestimmt werden, ob sich der Stadtrat für dieses wichtige Entwicklungsgebiet überhaupt noch einsetzen soll.
Willkommen in der Stadt St.Gallen.
Für ein weiteres Signal für eine aktivere Rolle des Stadtrats in der Stadtentwicklung gibt es die Abstimmung am 28. Februar. Für weitergehende Weichenstellungen die Stadtratswahlen im Herbst 2016.
Dieser Beitrag ist in der Februarausgabe von Saiten erschienen.