Eine Drohung gegen alle ohne Pass
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Würde die Entrechtungsinitiative der SVP angenommen, beträfe sie auch jene Ausländerinnen und Ausländer, die bereits in der zweiten und dritten Generation in der Schweiz leben. Frauen und Männer, die in der Schweiz geboren wurden, könnten also wegen eines unter Umständen kleinen Vergehens aus ihrer Familie und ihrem Umfeld geworfen werden und in ein Land, das ihnen womöglich völlig fremd ist, abgeschoben werden – und das unabhängig von der Schwere der Straftat. Dabei würden weder die Umstände des Vergehens noch der Aufenthaltsstatus oder das geltende Völkerrecht beachtet.
Der Initiativtext enthält zwei detaillierte Listen von Straftaten, die zur Ausweisung führen: Die erste führt überwiegend schwere Verbrechen wie Mord oder schwere Körperverletzung auf, bei denen die Ausschaffung zwingend ist. Auf der zweiten stehen auch leichte Straftaten wie Sachbeschädigung mit Hausfriedensbruch oder Betäubungsmitteldelikte. Diese würden eine Ausschaffung nach sich ziehen, wenn der Täter oder die Täterin bereits vorbestraft ist, sprich in den vergangenen zehn Jahren zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden ist. Neu hinzugekommen ist auch der Sozialmissbrauch: Eine ausländische Putzfrau beispielsweise, die ihre AHV nicht abrechnet, würde somit im Wiederholungsfall ausgeschafft.
Ich empfinde diese Initiative als Drohung gegen alle Nicht-Schweizerinnen und Nicht-Schweizer, also gegen einen Viertel der Bevölkerung. Ich glaube, sie ist eine Gefahr für die Demokratie, denn wir unterschätzen den riesigen Druck, den ein solcher Automatismus auf die Ausländerinnen und Ausländer ausübt. Sie alle müssten fortan mit der Angst leben, sofort ausgeschafft zu werden, selbst wenn sie nur eine leichte Straftat begehen.
Yonas Gebrehiwet, 1996, ist mit 15 Jahren aus Eritrea in die Schweiz gekommen. Er wohnt in Rheineck und macht eine Ausbildung zum Textiltechnologen.