«Die Initiative für die erleichterte Einbürgerung ist ein erster Schritt»
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Saiten: Im September hast Du die Motion «Abstimmungsunterlagen für Alle» miteingereicht. Sie will, dass die Abstimmungsunterlagen künftig allen Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt St.Gallen ab 16 Jahren zukommen. Was war die Idee dahinter?
Jeyakumar Thurairajah: Demokratie muss für alle da sein. Für alle, die in unserer Stadt leben, arbeiten und Steuern zahlen. Deshalb wollen wir, dass sich auch Jugendliche und Stadtbewohnerinnen und -bewohner ohne Schweizer Pass mit anstehenden Abstimmungen auseinandersetzen können. Der Wille zur Integration ist natürlich wichtig, aber man muss die Leute auch abholen, wo es geht. Integration darf man nicht erschweren, man muss sie erleichtern. Wenn ich zum Beispiel mit einer Patientin nach einer Fraktur wieder laufen lerne, versuche ich ja auch, ihr Hoffnung zu machen, und sage nicht, dass sie den Rest ihres Lebens vielleicht bettlägerig sein wird.
Du bist 1988 als Sans-Papier von Sri Lanka in die Schweiz gekommen und hast dich vor sechs Jahren einbürgern lassen. Warum?
Primär für meine Kinder, die zusammen mit mir und meiner Frau eingebürgert wurden. Sie sollen es besser haben als ich früher. Und weil ich anderen Migrantinnen und Migranten zeigen will, dass sie es auch schaffen können, wenn ich es geschafft habe.
Was bedeutet Dir die Staatsbürgerschaft?
Der Schweizer Pass bringt gesellschaftliche und politische Teilhabe mit sich. Heute kann ich abstimmen und mich zur Wahl stellen, als Papierloser und später als Asylsuchender war ich jahrelang benachteiligt. Es wurde über mich verfügt. Die Arbeitgeber zum Beispiel wollten mich meist nur für den Niedriglohnsektor, zum Beispiel als WC-Putzer oder Tellerwäscher. Arbeit ist zwar ein guter Weg zur Integration, andererseits ist es aber auch eine Form von Ausbeutung, wenn man Menschen nur anerkennt, solang sie brav billige Arbeit leisten.
Am 12. Februar stimmen die Schweizer darüber ab, ob sich Junge unter 25, deren Grosseltern einst eingewandert sind, erleichtert einbürgern lassen dürfen. Müssten nicht eigentlich alle, die hier geboren und aufgewachsen sind, das Bürgerrecht erhalten?
Ja, die Vorlage ist fast schon lächerlich, aber ich werde selbstverständlich mit Ja stimmen und hoffe sehr, dass sie angenommen wird. Mir wäre es auch lieber, wenn man das Bürgerrecht mit der Geburt erlangen würde, aber man soll nicht zu viel auf einmal wollen. Die Initiative wäre ein erster Schritt.
Sie betrifft vor allem die Enkel italienischer Migrantinnen und Migranten. Was denkst Du, wenn Du die Anti-Einbürgerungs-Burka-Plakate der SVP siehst?
Das ist pure Angstmacherei. Man versucht so, ein Feindbild zu schaffen, und wirft alle Migranten in den gleichen Topf. Diese Strategie ist diskriminierend und leider sehr typisch für die Populisten. Gegen diese Fremdenfeindlichkeit kommen wir nur miteinander an. Umso mehr gilt es, sich mit den Migrantinnen und Migranten zu solidarisieren – unabhängig davon, aus welcher Kultur jemand kommt.
Wie hast Du die ersten Jahre in der Schweiz erlebt?
Damals war in den Medien und in der Politik oft von den «Heroin-Tamilen» die Rede: Lederjacke, lange Haare, dunkle Haut. Es gab auch Lokale, die keine Tamilen reingelassen haben. Ich habe sehr unter dieser Stimmung gelitten, fühlte mich gesellschaftlich isoliert und traute mich manchmal kaum unter die Leute. Auf der Strasse wurde ich ständig angegafft, mehrmals wurde ich angespuckt, und eine Schulausbildung zu machen, war nahezu unmöglich mit einer N-Bewilligung. Also habe ich Abfallkübel geleert, WCs geputzt und Leichen transportiert. Ich habe mich einfach nicht getraut, bei einem Job Nein zu sagen, weil ich mich so gut wie möglich anpassen wollte.
Wie bist Du diesem Teufelskreis entkommen?
Die Schweizerinnen und Schweizer waren zwar für meine Angst damals verantwortlich, aber sie haben mir auch aus ihr herausgeholfen, zumindest ein Teil von ihnen: Ich hatte gute Bekannte, die mir stets Mut gemacht und an mich geglaubt haben, und als ich nach sieben Jahren endlich eine B-Bewilligung erhielt und eine Ausbildung machen durfte, haben sie mich sehr tatkräftig unterstützt. Nur so kann Integration gelingen: wenn sie gegenseitig ist. Dafür setze ich mich ein.
Darum Dein Engagement im Stadtparlament?
Ich mache Politik, weil ich der Gesellschaft etwas zurückgeben will. Ohne die Schweiz wäre ich verloren gewesen. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich noch lebe, denn dort, wo ich geboren wurde, bin ich nicht geduldet. Es gibt in Sri Lanka keine Demokratie. Die Schweiz hat wieder einen Menschen aus mir gemacht, darum ist es mir eine Ehre, dass ich die Politik in St.Gallen mitgestalten darf.
Eidgenössische Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung für junge Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation: 12. Februar.
Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.