Das A und A der Stadtratswahl (II): Debatte um Kulturraum

Darf es sein, dass Kulturschaffende alle drei Jahre ihr Atelier zügeln müssen? Welchen Stellenwert hat Kultur in der Stadt? Darüber diskutierten Patrizia Adam, Maria Pappa und Kulturschaffende am Donnerstag im Palace. Nina Rudnicki berichtet.
Von  Gastbeitrag

«St.Gallen, eine Kulturstadt mit Pfiff, das war vielleicht einmal ein gut angedachtes Motto», sagt der Künstler und visarte-Präsident Josef Felix Müller am Kulturpodium im Palace. Viel geblieben sei davon aber nicht. St.Gallen liege heute als Ausbildungsplatz für Kreativberufe schweizweit auf einem der hinteren Plätze. Die Schule für Gestaltung etwa, die für die Stadt eine starke Bedeutung und Anziehungskraft hat, sei an den Kanton abgegeben worden; die Stadt müsste sich stärker für sie einsetzen. Ähnlich die «Buchstadt St.Gallen»: Ausser der Stiftsbibliothek, der Hauptpost und ein, zwei kleineren Verlagen gebe es nichts, was die Buchstadt-Behauptung stützen würde. «Und selbst für die Bibliothek in der Hauptpost musste das Volk aufstehen und die Initiative ergreifen.»

Was St.Gallen brauche, sei ein neues und nachhaltiges Kulturkonzept, eine starke Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Platz für Kreativräume mit der Garantie, dass man langfristig bleiben kann und nicht gezwungen ist, alle paar Jahre sein Atelier zu zügeln. Mangelhaft sei auch das Bewusstsein für Kunst am Bau – selbst wo sie existiert. H.R. Frickers «Ortekataster» namens «Rückgrat», seine in den Boden eingelassenen Orts-Markierungen beispielsweise seien grösstenteils zerstört; auf Roman Signers Brunnen im Grabenpärkli wurden Taubenschutzringe angebracht, sein Wasserfall eingestellt und die Betonfassade des Stadttheater überstrichen, für Müller ein «katastrophaler Akt».

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«Man nimmt uns Künstlern den Boden weg»

Das waren einige Defizite, über welche die amtierende Stadträtin Patrizia Adam und Herausforderin Maria Pappa zusammen mit Josef Felix Müller, der Künstlerin Iris Betschart und Hansruedi Beck vom Palace-Vorstand im Vorfeld der Stadtratswahlen vom 27. November diskutierten. Wie hängen Stadtentwicklung und Kulturpolitik zusammen? Was tragen Stadt und Politik zu einem vielfältigen Kulturleben bei? Gibt es genug Raum für Ateliers und Zwischennutzungen? Diese Fragen wollte Moderator René Hornung von den Podiumsteilnehmenden beantwortet wissen. Die Räume standen dann, einmal mehr, im Vordergrund.

«Man scheitert an der Bürokratie, insbesondere beim Liegenschaftenamt», kritisiert Iris Betschart. Ihre ernüchternden Erfahrungen mit dem Amt bilden für Maria Pappa eine Steilvorlage. Betschart berichtet von ihrem bürokratischen Hürdenlauf, bis sie das leerstehende, grüne Markthäuschen auf dem Marktplatz für eine Zwischennutzung bewilligt bekam.

Auch gegenüber ihrer Ateliergemeinschaft an der Hinteren Bahnhofstrasse habe sich das Liegenschaftenamt äusserst unkommunikativ gezeigt. So sei den langjährigen Mietern kurzfristig mitgeteilt worden, dass die Stadt das Haus im Baurecht abgegeben habe und die fünf eingemieteten Parteien innerhalb von zwei Wochen ausziehen müssten; inzwischen sei die Frist verlängert worden.

Für Patrizia Adam wäre das ein No-Go; der Vorfall sei ihr mittlerweile zu Ohren gekommen, allerdings in anderer Darstellung. Die Angelegenheit müsste daher mit allen Beteiligten besprochen werden. «Das klingt fast so, als ob das Liegenschaftenamt nicht zur Baudirektion gehört», wirft Maria Pappa Patrizia Adam vor.

Betschart sagt: «Man nimmt uns Künstlern den Boden weg, und das unter dem Vorwand, dass man eben zur Wirtschaft schauen muss.»

Kultur gegen Wirtschaft

«Steht die Kultur hinten an?», fragt René Hornung nach. Aus Sicht von Patrizia Adam ist das nicht der Fall. Sie betont am Podium mehrfach, dass Kultur und Wirtschaft für sie denselben Stellenwert haben. «Kunst bringt Leben in die Stadt. Und St. Gallen ist das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Ostschweiz.» Kultur sei vergleichbar der Start-up-Szene und deren Sogwirkung auf junge und kreative Personen.

Ihre Mitarbeitenden würden immer Hand bieten, wenn gute Konzepte und Initiativen eingereicht würden, und auch Liegenschaften zur Verfügung stellen, betont die amtierende Bauchefin. Die anderen Podiumsteilnehmenden sind nicht überzeugt davon. Dies, weil es in der Stadt immer wieder Gebäude gebe, die nicht zwischen- oder umgenutzt werden könnten. Mehr Einsatz von der Stadt wäre etwa beim missglückten Rümpeltum-Umzug nach St.Fiden erwartet worden. Und das Gebäude an der Haggenstrasse 45, das ursprünglich für die Sozialen Dienste vorgesehen war, wird als aktuelles Beispiel genannt. Nach der kurzen Werkhaus-Zwischennutzung stehe das Haus jetzt zu einem guten Teil leer, «und ich weiss, dass das Jugendsekretariat einen Ort zum Rollbrettfahren sucht», kritisiert Hansruedi Beck. Josef Felix Müller bilanziert: «Die Stadt hat sich verkalkuliert, jetzt könnte sie sagen: Ok, nutzen wir den Ort während der nächsten zwanzig Jahre für die Kultur.»

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Das Werkhaus an der Haggenstrasse.

Alle gegen die Festspiele

Das nicht sehr zahlreiche Publikum hat erlebt: Eine defensive Patrizia Adam, deren Argument wenig Gehör fanden, dass Geld am Ende immer das Problem sei, auch an der Haggenstrasse 45. «Wir können für Liegenschaften im Finanzvermögen der Stadt nicht einfach weniger Miete verlangen, nur weil wir etwas cool finden.»

Eine kämpferische und angriffige Maria Pappa: «Man kann das mit den Mieten schon beeinflussen, wenn man will. Die Stadt besitzt ja gerade aus dem Grund Liegenschaften, damit es nicht nur um die Rendite geht.» Kultur dürfe nicht nur nach den Prinzipien des Marktes funktionieren. «Sie muss frei sein, provozieren und Grenzen ausloten.»

Die Sicht der Kulturschaffenden: Im Liegenschaftenamt ist der Wurm drin, und der Stadt fehlt ein aktuelles Kulturkonzept.

Übereinstimmung herrschte am Ende zumindest darin, wie Kultur nicht sein sollte: elitär wie die St. Galler Festspiele auf dem Klosterhof nämlich. Patrizia Adam stört sich jedes Jahr erneut, wenn die Stangen und Absperrgitter aufgebaut werden. Hansruedi Beck wurde schon einmal verscheucht, als er sich zu nahe an die Gitter wagte. Und Maria Pappa betritt den Klosterplatz während dieser Zeit daher erst gar nicht.