Abheben in Rom

Die Erzählung «Warum es in Rom keine Hochhäuser gibt» von Adrian Riklin und Buchgestalterin Helen Ebert feiert diesen Samstag die St.Galler Premiere.
Von  Peter Surber

Das muss einer erst einmal beschreiben können: Mit welch unübertrefflicher Souveränität die Kellnerin im Jugendstilcaffè an der Via della Pace in Rom die Tauben wegscheucht…

 

…mit diesem strengen Blick im Jugendstilgesicht, der sie noch schöner macht und als eine entlarvt, die schon früh von Altrömerinnen in die geheimen Gesetze der Luftströmungen eingeführt wurde und nun also in dieser kleinen Bewegung der rechten Hand grossen Jugendstil verrät, kurz stehen bleibt mit dem Tablett in der linken und den flüchtenden Tauben mit ebendiesem wissenschaftlichen Blick nachschaut, Vogelblick, der sie als Wesen enthüllt, welches in sich das Wissen eines Vogels trägt, und du denkst, dass es dies ist, was den Römerinnen zu diesem Geschick verhilft im Umgang mit allem, was mit Luft zu tun hat, dass sie ihre Fächer wie Vogelflügel handhaben und, wenn es denn sein müsste, vom Boden abheben und davonfliegen könnten, es aber nicht tun, weil dies Ungutes verheissen würde.

 

Ein langer, ein wie ein Vogelflug dahinziehender Satz. So sind fast alle Sätze in der kurzen Erzählung von Adrian Riklin mit dem Titel Warum es in Rom keine Hochhäuser gibt. Es sind lauter Nebensätze mit «dass». Der Hauptsatz heisst: «Du hast gesehen… ». Und das Fazit des Gesehenen: «…dass dies, wie alles, seinen tieferen Grund hat.»

 

Wut auf die Vespa

Im Sommer 2003 – ein glühend heisser Sommer, wie man im Lauf der Geschichte erinnert wird, bis 41 Grad, «romafricanesco » – war Riklin mit einem Atelierstipendium der Stadt St.Gallen in Rom. Und hat, aufmerksam für Geräusche, Gesichter, Luftbewegungen und Begegnungen, notiert, was diese Stadt ausmacht. Die Hitze. Die schönen Nebensächlichkeiten. Die Augensprache und die Augenaussprache. Die Nonne hinter den geschlossenen Fensterläden, die Mammine in den Hinterzimmern der Tabacchi, die touristischen Sonderlinge, zu denen sich der Erzähler selber zählt.

Und dann: Gregory Peck und Audrey Hepburn auf der Vespa, Mann von Welt und Prinzessin, ein Herz und eine Krone. Im Auge des Betrachters vervielfachen sich die Liebenden auf der Piazza Navona, multipliziert sich der legendäre Filmkuss zum «Geblend und Gebrumm und Geschmatz und Geküss und Gequietsch». Die so grandiose wie quälende «Abendvorstellung» erinnert ihn an die Trompetenspielerin, seine grosse Liebe vor der Abreise nach Italien, die ihn allein ziehen liess, ihn, den «weltfremden Melancholikus».

 

Riklin1-2

Helen Ebert und Adrian Riklin

Vierfache Typografie

Stadtimpressionen und Selbstzweifel machen die Doppelspur dieser wunderbar schwebenden Erzählung aus. Das lässt sich im Buch gleich mehrfach auskosten – Buchgestalterin Helen Ebert hat den Text in vierfacher Gestalt, mit unterschiedlicher Typographie und wechselnden Schriften gesetzt. «Es gibt nicht die eine Form, es gibt mehrere», lautet ihre simple Begründung für das unkonventionelle Unterfangen.

Variante 1 bringt den Text in konventionellem Blocksatz, die Varianten 2 und 3 gliedern Riklins verschachtelte BabuschkaSätze dann mehrfach anders. Das schafft eine eigentümliche dritte Lesedimension, manchmal flimmern die Augen wie der Asphalt der Römer Strassen in der Sommerhitze. Variante 4 schliesslich strapaziert die Leserin mit allerhand Schrift-Wildwuchs und aufwendiger Links-Rechts-Typographie – gewöhnungsbedürftig. Im Ganzen macht die vierfache Gestaltung aber raffiniert auf die Möglichkeiten heutiger Buchgestaltung aufmerksam. Das Spiel mit Schriftgraden hat so zweifellos, wie alles, seinen tieferen Grund.

 

Adrian Riklin und Helen Ebert: «Warum es in Rom keine Hochhäuser gibt», Eigenverlag, Fr. 37.90.
St.Galler Buchpremiere: Samstag, 31. Januar, 20 Uhr, Point Jaune St.Gallen. Infos: die-kassette.ch, postpost.ch.

 

Bilder: die-kassette.ch.

Dieser Text erschien in etwas längerer Form im Januar-Heft von Saiten.